Andreas Scheuer: "Moderne Mobilität braucht moderne Gesetze"
Rede zum Personenbeförderungsrecht
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Fahrrad, Privat-Pkw, Taxi, Bus und Bahn – Punkt! Hier endete für viele die Vorstellungskraft, wenn es um die Auswahl möglicher Fortbewegungsmittel in Städten und in ländlichen Regionen ging. Dank der Digitalisierung ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl neuer Möglichkeiten hinzugekommen. Die meisten davon sind kreativ, bedarfsgerecht, gut für die Umwelt und können für mehr Flexibilität und weniger Verkehr sorgen.
Das trifft zum Beispiel auf die sogenannten Pooling-Dienste zu. Diese plattformbasierten Anbieter sind bereits in vielen Städten und Regionen aktiv und beliebt. Fahrgäste können per App ihre Fahrtwünsche unter Angabe des Abfahrts- und Ankunftsortes sowie der Anzahl der mitfahrenden Personen angeben. Ein Algorithmus ist die Basis für die Fahrtroute. Es ist nicht der direkte Weg. Es ist an dieser Stelle einfach ein Gemeinschaftsgefühl, aber vor allem eine neue Möglichkeit, mobil zu sein.
Ich bin überzeugt: Diese neuen Mobilitätsformen sind wichtige Schnittstellen zwischen Individualverkehr und ÖPNV, von denen viele profitieren. Eins ist entscheidend: Es ist eine Chance für den ländlichen Raum. Natürlich: In Städten ist das Angebot naheliegender, weil da mehr Bürger auf engerem Raum sind. Aber ich bin überzeugt: Wenn wir die Grundlage dafür jetzt schaffen, dann gibt es mehr Flexibilität und eben auch mehr Kreativität.
Gewerbliche Personenbeförderung ist genehmigungspflichtig. Sie ist nur innerhalb der im Gesetz geregelten Verkehrsarten zulässig, also als Linien- oder Gelegenheitsverkehr, zum Beispiel per Taxi oder Mietwagen. Die neuen Mobilitätsangebote lassen sich diesen gesetzlich vorgegebenen Verkehrsarten nicht immer eindeutig zuordnen. Daher gibt es sie bisher meist nur als zeitlich begrenzte Modellprojekte – mit einer Höchstdauer von maximal vier Jahren. Wenn wir neue Mobilitätsangebote aber dauerhaft etablieren wollen, müssen wir ans Gesetz ran. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, die Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen.
Etablierte Mobilitätsanbieter, insbesondere Taxifahrer, hatten von Anfang an Sorge, durch die neuen digitalen Anbieter unter Druck zu geraten. Bei allem Verständnis dafür: Wir haben jetzt die Möglichkeit, intelligente Formen der Mobilität mit mehr Flexibilität zu öffnen, ohne das Fundament, die Basis für die Personenbeförderung, zu verlieren. Und: Ja, wir haben gerade auch in diesen Mobilitätsunternehmen die Coronaschäden im Blick.
Also, die Nachfrage ist da. Wir brauchen Lösungen. Wir haben dazu die Möglichkeiten mit der Digitalisierung. Und wir haben einen angemessenen Ausgleich gefunden. Wie so häufig gilt auch hier: Es muss kein Entweder-oder sein. Wir wollen ein Sowohl-als-auch.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Unser Ziel muss es sein, Innovationen zu ermöglichen, aber Bewährtes zu erhalten. Wir haben viele Gespräche geführt. Ja, es gab auch viel Protest. Deswegen habe ich mich entschieden, Anfang 2019 eine Findungskommission ins Leben zu rufen. Ich möchte sehr herzlich danken. Neben den Verkehrsexperten der Koalition – den Kollegen Lange, Rainer und Bartol sowie Frau Lühmann – möchte ich vor allem auch denen danken, die aus den Bundesländern dabei sind, zum Beispiel dem Verkehrsminister aus Baden-Württemberg Winfried Hermann von den Grünen, dem nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Hendrik Wüst von der CDU, der saarländischen Verkehrsministerin Anke Rehlinger von der SPD und dem schleswig-holsteinischen Verkehrsminister Bernd Buchholz von der FDP.
Ich möchte meinen Dank dafür aussprechen, dass wir einen Kompromiss gefunden haben. Es ist hart gerungen worden, aber ich glaube, wir haben am 19. Juni 2020 mit dem Eckpunktepapier einen sehr guten Kompromiss erzielt. Dieser ist auch die Grundlage für den Gesetzentwurf gewesen.
Dieser Kompromiss sieht unter anderem vor, den neuen Verkehrsformen, Linienbedarfsverkehr innerhalb des ÖPNV und gebündelter Bedarfsverkehr außerhalb des ÖPNV, jeweils eigene Rechtsgrundlagen zu geben. Dabei soll ein fairer Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Beförderungsformen gewahrt bleiben. Kommunen erhalten hierfür entsprechende Steuerungsmöglichkeiten. Um das Taxigewerbe regulatorisch zu entlasten, ist vorgesehen, die für Taxifahrer bisher verpflichtende Ortskundeprüfung abzuschaffen. Stattdessen reicht es künftig aus, ein technisch aktuelles Navi zu haben. Anstelle des Taxameters soll auch ein App-basiertes System zulässig sein.
Es soll zudem dabei bleiben, dass weiterhin nur Taxis herangewunken werden und an Ständen auf Kundschaft warten dürfen. Wir halten außerdem grundsätzlich an der Rückkehrpflicht für auftragslose Mietwagen fest. Weiter können die Kommunen die Taxitarifpflicht für bestellte Taxifahrten lockern. Zudem können sie künftig feste Tarife für Ziele festlegen, die sehr oft angefahren werden, zum Beispiel Bahnhöfe, Flughäfen oder Messen.
Als weiteren wichtigen Punkt schaffen wir einen rechtlichen Rahmen, um Mobilitätsdaten zu sammeln und verfügbar zu machen. Denn Daten sind die Basis, um neue Informations- und Mobilitätsdienste zu entwickeln. Diese Chance wollen wir nutzen.
Ich habe schon beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt gesagt, dass wir Projekte für 5 G diese Woche mit guten Förderungen vergeben haben. Dort ist mir die Stadt Jena in Erinnerung mit einem Projekt, wo die Mobilitätsdaten nicht nur für den Energieversorger eine bessere Organisation der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleisten sollen, sondern wo diese Daten auch für die Mobilität benutzt werden können, um staufreier, klimaneutraler und besser unterwegs zu sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, moderne Mobilität braucht moderne Gesetze. Wir sehen: Die Findungskommission hat einen guten Kompromiss vorgelegt, und jetzt sollten wir diesen schnellstmöglich umsetzen. Bei der letzten Novelle haben wir dafür sechs Jahre gebraucht. Diesmal – bis jetzt, bis zu diesem Zeitpunkt – sind wir hoffentlich schneller – sehr, sehr viel schneller. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir das auch fraktionsübergreifend diskutieren und umsetzen können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)