"Wir brauchen einen Zukunftshaushalt"
Brinkhaus-Interview mit der Rheinischen Post
Im Gespräch mit der Rheinischen Post plädiert Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus für ein Umdenken in der Klimapolitik. An der aktuellen Diskussion über Klimaschutz stört ihn, dass vor allem die CO2-Bepreisung im Mittelpunkt steht. Dabei komme es in Zukunft auf eine Vielzahl an Maßnahmen und Ideen an. Zudem fordert er einen "Zukunftshaushalt". Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Rheinische Post: Herr Brinkhaus, die Stimmung in der Koalition ist nach den Personalentscheidungen zu Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer mal wieder mies. Was trauen Sie Union und SPD noch gemeinsam zu?
Ralph Brinkhaus: Bei uns in der Union ist die Stimmung nach den Personalentscheidungen ganz gut. Richtig ist aber, dass die SPD momentan in einer schwierigen Situation ist. Aber damit gehen wir professionell um. Die große Koalition ist arbeitsfähig. Wir haben viele Vorhaben, etwa die acht Migrationsgesetze, noch vor der Sommerpause beschlossen und umgesetzt. Wir werden im Herbst den Bundeshaushalt 2020 gemeinsam beschließen, ein richtig großes Paket für mehr Klimaschutz vorlegen und auch die Reform der Grundsteuer klären.
Ist das Nein der SPD zu Frau von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin schon verziehen? Oder können die Sozialdemokraten nun die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung vergessen?
Brinkhaus: Wir sind und wir waren auch schon vor sechs Monaten dagegen. Daran hat das Abstimmungsverhalten der 16 SPD-Abgeordneten in Straßburg nichts geändert. Wir stehen zum Koalitionsvertrag. Arbeitsminister Hubertus Heil hat bei der Grundrente Dinge vorgeschlagen, die so nicht im Koalitionsvertrag stehen. Insofern fehlt an diesem Punkt auch die Arbeitsgrundlage.
Wie sieht es mit dem Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer zu einer Dienstpflicht für alle aus? Die SPD sagt Nein.
Brinkhaus: Ich würde mir eine solche allgemeine Dienstpflicht auch wünschen. Es ist gut, wenn sich Menschen für die Gesellschaft engagieren. Ich fürchte aber, dass es rechtlich sehr schwer umzusetzen ist. Es ist problematisch – gerade auch vor dem Hintergrund unseres Grundgesetzes – Menschen zu einer bestimmten Tätigkeit im Dienste der Gesellschaft zwingen.
Wird dann die Wehrpflicht wieder eingeführt?
Brinkhaus: Die Wehrpflicht ist ja nur ausgesetzt, nicht abgeschafft. Es wäre aber allein schon aus rein organisatorischen Gründen sehr schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt die Wehrpflicht wieder zu aktivieren.
Bleiben Union und SPD bis zum Ende der Wahlperiode 2021 zusammen?
Brinkhaus: Wir stehen zu dieser Koalition und dem Koalitionsvertrag. Die SPD hat im Europäischen Parlament sehr unglücklich agiert. In Berlin haben wir in den vergangenen Wochen aber solide zusammengearbeitet. Wir wollen diese Koalition fortsetzen. Wir sind ja mit der Bundestagsfraktion bei der Gesetzgebung sozusagen im Maschinenraum. Und ich kann sagen: Die Maschine läuft, der Dampfer fährt in die richtige Richtung.
Viele Menschen erleben die Politik der Koalition eher als Schiffbruch. Falsche Wahrnehmung?
Brinkhaus: Die Union tut sehr viel, damit es vorangeht. Vielleicht haben wir das nicht immer ausreichend stark kommuniziert. Unsere Agenda hat drei Säulen: Erstens müssen wir das Land am Laufen halten. Die Menschen wollen die Gewissheit, dass Krankenhäuser und Schulen funktionieren, dass man auf den Straßen Auto fahren kann oder dass die Polizei präsent ist. Da haben wir gerade in den letzten Jahren sowohl im Bund als auch in den Ländern einiges auf dem Weg gebracht. Zweitens: Wir wollen das Land in die Zukunft führen und dabei den Wirtschaftsstandort sichern. Darüber wird leider zu wenig geredet. Denn Vollbeschäftigung, die wir in Teilen derzeit haben, ist kein Selbstläufer. Wir müssen daher in Zukunft mehr für die Arbeitsplätze tun. Und bei Klima und Umwelt müssen wir bald ein überzeugendes Paket vorlegen. Die Zeit drängt. Wir haben viel gemacht, aber wir verfehlen das für 2020 selbstgesteckte CO2-Ziel. Das müssen wir ganz selbstkritisch eingestehen. Und drittens müssen wir dabei das Land zusammenhalten. Da läuft – wenn ich mir die Europawahlergebnisse anschaue – momentan sehr viel auseinander.
Mehr Klimaschutz – was soll der Verbrauch einer Tonne Kohlendioxid denn kosten?
Brinkhaus: So eindimensional lässt sich der Klimawandel nicht beantworten…
…die Menschen wollen wissen, was sie an der Tankstelle für einen Liter Sprit mehr bezahlen müssen…
Brinkhaus: Es reicht nicht, einen Preis auf Kohlendioxid auszurufen. Wenn ich jetzt 40, 50 oder 60 Euro pro Tonne nennen würde, hilft das nicht weiter…
… vielleicht eher 130 Euro wie Wissenschaftler es bis zum Jahr 2030 fordern?
Brinkhaus: Mich stört, dass sich die ganze Diskussion über Klimaschutz nur um die CO2-Bepreisung dreht – das ist ein Baustein, – wird aber nicht reichen. Wir müssen den öffentlichen Personenverkehr ausbauen, wir brauchen mehr E-Autos und dafür natürlich Zehntausende zusätzliche Ladesäulen. Wir brauchen Effizienzsteigerungen bei Wärme und Energieverbrauch in Gebäuden. Wir müssen in der Landwirtschaft umdenken, die Städte begrünen, Wälder aufforsten, wir brauchen ein neues wasserwirtschaftliches Konzept und und und. Aber, und da haben Sie sehr recht: Wir müssen den Menschen sehr ehrlich sagen, es wird nicht alles bleiben, wie es ist. Unser Leben wird nicht schlechter werden, aber es wird sich verändern. Und im Übrigen geht es nicht nur darum, was der Staat regelt. Nein, jeder muss ganz persönlich in seinem Leben überprüfen, was er zum Umweltschutz beitragen kann. Es gibt da viel Potenzial. Ich fange da als erstes bei mir selbst an. Auch ich könnte noch mehr mit der Bahn oder dem Fahrrad fahren, weniger heizen, im Winter Äpfel statt Erdbeeren essen, Verpackungen vermeiden.
Die Grünen sprechen von einem 100-Milliarden-Fonds, meinen Sie diese Größenordnung?
Brinkhaus: Das wird nicht reichen. Wir müssen richtig viel Geld in die Hand nehmen. Das ist eine Anstrengung, die mehrere Hundert Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren kosten wird. Sonst ist das nicht zu machen.
Dann darf es keine Wirtschaftskrise geben.
Brinkhaus: Nein, gerade umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wenn wir den Klima- und Umweltschutz so angehen, schaffen wir neues Potenzial für Wirtschaft und Investitionen. Dann gibt es keine Wirtschaftskrise. Wir müssen die technologischen Vorreiter sein, die diese Technologien dann erfolgreich exportieren können. Und noch mal: Wichtig ist, dass wir den Menschen mit unseren Plänen keine Angst machen. Wir werden Übergangszeiten haben, in denen man sich auf die Veränderungen einstellen, Vorsorge treffen, etwas ansparen oder investieren kann. Aber wir müssen auch unsere parlamentarische Arbeit ändern. Wir müssen uns mehr auf die langfristigen Ziele, auf die Zukunft ausrichten.
Ein Paket für mehr Zukunft, oder wie dürfen wir Sie verstehen?
Brinkhaus: Ich denke, wir brauchen einen Zukunftshaushalt. Also neben dem Finanzhaushalt einen Plan über unsere qualitativen Ziele – im Übrigen nicht nur im Umweltbereich. Also: Wie steht es zum Beispiel mit dem Breitbandausbau und der Netzabdeckung im Mobilfunk, wie sieht es mit der Digitalisierung der Verwaltung aus, wie ist der Zustand der Straßen, erreichen wir unsere CO2-Ziele, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Energieerzeugung oder auch unsere Recyclingquoten? Und genauso, wie wir im Bundeshaushalt finanzielle Ziele setzen und darüber jedes Jahr im Bundestag in den großen Debatten sprechen, sollten wir das auch mit den qualitativen Zielen machen. Und zwar nicht wie jetzt – sehr kleinteilig, verteilt über die Legislaturperiode. Sondern systematisch, regelmäßig und im großen Zusammenhang. Ich möchte nicht noch einmal in der Situation sein, dass wir uns – wie bei der CO2-Reduktion – Reduktion- Ziele setzen und sie dann nicht rechtzeitig erreichen.
Interview mit der Rheinischen Post. Fragen von Kristina Dunz und Holger Möhle