Roderich Kiesewetter: "Kernpunkt des Mandats ist Schleuserbekämpfung und Befähigung der libyschen Küstenwache"
Rede zum Bundeswehreinsatz im Mittelmeer (EUNAVFOR MED Operation SOPHIA)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zum dritten Mal die Verlängerung und Fortsetzung des Mandats für Sophia. Dieses Mandat macht sehr deutlich, mit welch langem Atem wir das Thema „Mittelmeer, Migrations- und Fluchtsteuerung“ angehen müssen. Wir haben innenpolitisch zurzeit spannende Debatten; aber einfache nationale Lösungen lösen das Migrationsproblem von und vor Afrika nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der AfD: Doch!)
Sophia hat den Auftrag, Schleuser zu bekämpfen und die libysche Küstenwache auszubilden und zu einer wirksamen Streitkraft zu machen. All das geht nicht über Nacht. Wir brauchen dazu sehr, sehr viele Jahre; wir brauchen den politischen Willen.
Dem gegenüber stehen einfache Lösungsvorschläge, die, wenn wir sie genau betrachten, eine ganz schlimme Folge hätten. Ich möchte das einmal genauer herausarbeiten. In Libyen gibt es seit der Beseitigung des Gaddafi-Regimes 2011 und dem mangelnden Willen der internationalen Gemeinschaft, sich von Anfang an für einen politischen Wiederaufbau einzusetzen, herrschaftsfreie Zonen und einen internationalen Prozess, eine Gemeinschaftsregierung aufzubauen. Dazu gibt es Einflussfaktoren, die auf sehr drastische Art und Weise wirken: Zu den inneren Faktoren zählen Milizen, Stämme, die das Schleppen und Schleusen zum Geschäftsmodell gemacht haben und sich nicht stören lassen wollen, schon gar nicht durch die internationale Gemeinschaft. Dann gibt es zwei Gruppierungen um die Muslimbrüder herum westlich von Tripolis, die von Katar und der Türkei unterstützt werden, und im Osten des Landes – sehr stark unterstützt von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten – den General Haftar.
In der Mitte, in Tripolis, gibt es den Versuch, eine Zentralregierung aufzubauen. Der deutsche Diplomat Kobler hat über Jahre versucht, hier mitzuwirken, in vielen Teilen erfolgreich, aber noch nicht zum Ende gebracht, und der jetzige Sonderbotschafter Salamé schreibt uns einiges ins Stammbuch. Ich habe erst im April in Tunis mit ihm sprechen können und habe ihn mehrfach getroffen. Er bittet uns um eines: strategische Geduld und keine schnellen Lösungen. Und er warnt uns vor zwei großen Bereichen: Der eine Bereich sind die Milizenführer, die Stämme, die ihr Geschäftsmodell durch die UNO in Gefahr sehen. Das andere ist, dass wir diplomatisch einwirken müssen auf die Türkei, auf Katar, die die Islamisten unterstützen, und auf die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und einige andere, die versuchen, eine Autokratie zu etablieren, die auch nicht in unserem Sinne ist, eine Autokratie im Sinne el-Sisis, im Sinne Ägyptens.
Dazwischen erarbeiten wir seit zwei, drei Jahren eine Strategie, die sehr anspruchsvoll ist. Sophia ist dabei nur ein Baustein. Wir haben insgesamt gerade einmal vielleicht 250 Schlepper festgenommen; das ist überschaubar. Wir haben einige Hundert Küstenwachleute ausgebildet; das ist überschaubar.
Aber gesetzt den Fall, wir würden diese beiden Maßnahmen streichen und nur eine humanitäre Hilfsaktion aus der Mission machen, dann würden wir die Legitimität des Aufbaus eines libyschen verantwortungsbewussten Regierungssystems letztlich verhindern; denn dann zeigen alle, die sich dafür einsetzen, dass Libyen eine verantwortungsvolle und handlungsfähige Regierung bekommt, mit dem Finger nach Europa und sagen: Schaut, es werden nur die Flüchtlinge aufgenommen, aber unsere Stabilisierung ist nicht mehr in deren Sinne und die Bekämpfung der Schleuser auch nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Alle diejenigen – ich wähle bewusst einen sehr nachdenklichen Ton –, die sagen: „Wir müssen die Flüchtlinge nach Afrika zurückbringen“, verkennen, dass Deutschland sich sehr schwertut, Rückübernahmeabkommen zu schließen, weil wir keine sicheren Herkunftsländer im Maghreb haben.
Ich fordere etliche Kollegen auf, auf Ihre Kollegen bei den Grünen und anderen Fraktionen einzuwirken, damit wir im Bundestag diese Lösung erreichen. Der Entschließungsantrag der Grünen ist in 90 Prozent der Punkte sehr, sehr gut; er ist aber in einem Punkt, ich sage mal, romantisch; denn Sie fokussieren sich ausschließlich auf die humanitäre Hilfe.
Der andere Punkt ist nämlich: Wer soll die Flüchtlinge denn übernehmen, wenn wir sie nach Afrika zurückbringen? Wenn die UNO in die Souveränität Libyens eingreift, die ja mühsam aufgebaut wird, und eigene Lager einrichtet, ist das ein Zeichen an die Milizionäre, an die anderen Gruppen, dass die Zentralregierung wirkungslos ist.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Kiesewetter, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage vonseiten der AfD-Fraktion?
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Ja.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Bitte schön.
Rüdiger Lucassen (AfD):
Danke schön. – Danke, Kollege Kiesewetter. Wir haben, wie Sie es richtig gesagt haben, hier über das Mandat unserer Bundeswehr zu entscheiden. Sie, Herr Kiesewetter, verfügen, wie ich weiß, über jahrelange Erfahrung als Soldat und Offizier. Sie haben zweimal davon gesprochen, dass wir mit diesem Mandat Schleuser bekämpfen. Zeigen Sie mir einen Satz in dem Antrag der Bundesregierung, wo von Bekämpfen der Schleuser gesprochen wird.
Nochmals: Wir entscheiden nicht über das, was unsere Alliierten oder Freunde, die in diesem Einsatz sind, machen, sondern wir entscheiden, was wir machen.
Ich bitte Sie um eine Antwort.
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Herr Kollege Lucassen, der Kernpunkt des Mandats ist Schleuserbekämpfung und Befähigung der libyschen Küstenwache. Daneben geht es um die Verhinderung von Waffenschmuggel. Es geht um humanitäre Hilfe, die aber allen Seemissionen immanent und kein Sonderauftrag von Sophia ist. Das Entscheidende – das hat der Kollege Nolte aus meiner Sicht falsch angesprochen – ist ja, dass wir langfristig auf libysches Festland müssen.
Wir sind jetzt in der ersten Phase in internationalen Hoheitsgewässern; dorthin werden die Flüchtlinge gebracht und dort vielfach auch aufgenommen. In der zweiten Phase müssen wir in die libyschen Territorialgewässer. Das geht aber entweder auf Einladung der Zentralregierung, die noch nicht so weit ist, oder durch den Weltsicherheitsrat, der aber durch China und Russland in diesem Fall blockiert ist.
Also müssen wir doch politisch alles dafür tun, um die Voraussetzungen für den Prozess, den Salamé leistet, zu schaffen. Das bedeutet, dass im September der Verfassungsprozess abgeschlossen werden muss, damit bis Dezember freie Wahlen in Libyen stattfinden können und eine Regierungsbildung zu Beginn des nächsten Jahres möglich wird, die uns dann einlädt, gemeinsam mit der UNO die Schleuserbekämpfung an Land durchzuführen, wo sie deutlich wirksamer sein wird, als wenn wir sie auf hoher See machen.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Vielen Dank.
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Das ist für mich der entscheidende Punkt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Zeit nicht ausdehnen. Ich möchte nur abschließend sagen: Ich werbe für diesen Einsatz. Wir, die CDU/CSU, wissen, dass wir lange Jahre geduldig sein müssen. Aus meiner Sicht wird es uns hier auch noch viele Debatten abringen, wenn wir in die weitere Phase kommen und dann politisch in der Lage sein werden, –
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Diese Debatte führen wir aber bitte nicht jetzt. Sie sind nämlich über der Zeit.
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
– als Europäer in den ländlichen Zonen vor Ort zu sein.
Ich habe nur 24 Sekunden überzogen, und ich habe nicht gemerkt, dass die Zeit angehalten wurde.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.