Markus Koob: "Wir brauchen eine breitere Aufstellung"
Aktuelle Stunde zur Zukunft des INF-Vertrages als Kernelelement europäischer Sicherheit
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Wir erleben heute eine seltene Einmütigkeit in einer strategischen Frage im Rahmen einer Aktuellen Stunde. Dass das so ist, liegt daran – das ist schon oft erwähnt worden –, dass der Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme aus dem Jahr 1987 die Welt tatsächlich verändert und den Kalten Krieg ein Stück weit beendet hat. Wir haben es schon gehört.
Dieser Vertrag hat die Welt berechenbarer und damit auch sicherer gemacht. Er hat für Annäherung gesorgt und Vertrauen zwischen den Großmächten aufgebaut. Der Vertrag wurde damals vor allem deshalb möglich, weil zwei mutige Präsidenten, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, erkannt haben, dass Abrüstung notwendig und dies in einem Vertrag festzuhalten ist.
Wie meine Kolleginnen und Kollegen, die schon vor mir gesprochen haben, bin auch ich ein Verfechter internationaler Lösungen, wenn es um die Frage globaler Herausforderungen geht. Wie auch bei anderen Themen wie Klimawandel, Migration oder Vermüllung der Weltmeere kann nur die Staatengemeinschaft gemeinsam zu einer nachhaltigen Lösung kommen. Auch ich bin daher ein Unterstützer des verfolgten Ziels des bilateralen INF-Vertrags, Test, Entwicklung und Stationierung nuklearer Mittelstreckensysteme zu verbieten, insbesondere auch deshalb, weil die Herausforderungen über die Jahre nicht kleiner, sondern größer geworden sind.
Angesichts zahlreicher technischer Neuerungen – auch das ist heute schon mehrfach angesprochen worden – und der Reduzierung auf nukleare Mittelstreckensysteme hat sich die Bedrohungslage trotz des existierenden INF-Vertrages in den letzten Jahren verschlechtert. Aber auch unabhängig von der technischen Entwicklung steht der Vertrag unter erheblichem Druck. So hat erst vor kurzem Russland die Existenz eines neuen Raketensystems zugegeben. Auch die russische Beschwichtigung, dass diese Systeme lediglich eine Reichweite von unter 500 Kilometern hätten, was nach NATO-Einschätzung nicht der Fall ist, ist für uns Europäer keine beruhigende Nachricht.
Wir haben auch gehört, dass es Vorwürfe gibt, die von Russland bis jetzt leider nicht entkräftet worden sind. Wenn ich von Ihnen, Frau Kollegin Vogler, den Vorwurf höre, dass die NATO nach der völkerrechtlichen Annexion der Krim zu einer „No business as usual“-Politik übergegangen sei, dann ist das ein starkes Stück; denn die völkerrechtswidrige Annexion ist eben „no business as usual“.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Man stellt sich doch selbst ein Bein!)
Das ändert nichts daran, dass wir die Dialogstränge brauchen. Es ist übrigens auch im ureigenen amerikanischen Interesse, die Vorwürfe, die es vonseiten Russlands gegenüber den USA gibt, ebenfalls öffentlich und transparent zu entkräften.
Man muss aber kein ausgewiesener Freund der aktuellen US-Regierung sein, um die Sorge und die daraus entstehende Frage der Administration, die es im Übrigen auch schon unter Obama gegeben hat, wie mit der sehr wahrscheinlichen Verletzung des Vertrages durch die russische Seite umzugehen ist, verstehen zu können. Verhandlungen über Verstöße, die wir jetzt führen müssen, machen allerdings nur dann Sinn, wenn sich die russische Seite grundsätzlich gesprächsbereit zeigt. Die diplomatischen Versuche der amerikanischen Administration, die Russen zur Einhaltung des INF-Vertrages zu bewegen, sind in der Vergangenheit leider nicht erfolgreich gewesen.
Es ist bedauerlich, dass der Multilateralismus, der die Sicherheit und die Stabilität auf der Welt stärken soll, so unter Druck steht; denn zum Multilateralismus gibt es gerade in der Sicherheitspolitik keine Alternative. Dennoch sollten wir Europäer uns von dem möglichen Rückzug der USA aus dem INF nicht entmutigen lassen, sondern, wie wir das zum Beispiel auch schon bei dem Atomabkommen mit dem Iran getan haben, versuchen, das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden zwar das Problem nicht lösen können, aber es liegt an uns, dass wir eigene europäische Initiativen auf den Weg bringen; denn die europäische Sicherheit liegt in allererster Linie im europäischen Interesse. Wir haben viel darüber gesprochen, dass Europa in den letzten Jahren auseinandergedriftet ist, dass wir unterschiedliche Interessen in Ost- und Westeuropa haben. Ich glaube, diese Frage der Sicherheitspolitik ist eine Frage, die Ost- und Westeuropa eint, weil alle europäischen Länder die gleichen Sicherheitsinteressen haben. Das sollten wir nutzen und entsprechend versuchen, in die Verhandlungen einzubringen.
Wir haben schon mehrfach gehört, dass der INF-Vertrag in seiner ursprünglichen Konstruktion als eine bilaterale Vereinbarung zwischen den USA und Russland nicht ausreichen wird, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Wir brauchen eine breitere Aufstellung, wir brauchen eine Einbeziehung Chinas, Indiens und Pakistans, und wir brauchen – damit komme ich am Schluss zum Beginn meiner Rede zurück – mutige Präsidenten, die erkennen, dass Abrüstung notwendig ist, wenn wir weiterhin in einer friedlichen und sicheren Welt leben wollen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)