Marc Henrichmann: Wir haben ein Interesse daran, dass der Bundestag nicht weiter wächst
Rede zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! „Am Ende wird alles gut! Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Dieser schöne Spruch passt, glaube ich, gut zur Debatte um das Wahlrecht. Wir diskutieren heute hier unter anderem über einen links-grün-liberalen Gemeinschaftsvorschlag, der, wie gehört, zu dem Ergebnis kommt, dass wir die Wahlkreise um 49 auf 250 reduzieren und gleichzeitig die Anzahl der Normsitze von 580 auf 630 erhöhen.
Aber wie ist die Ausgangslage? Das sage ich als jemand, der am Institut des Wahlkreises – auch im Sinne der dann vielleicht unterlegenen Kolleginnen und Kollegen – besonders hängt. Es haben sich drei Fraktionen zusammengetan, die 2017 6 von 299 Direktmandaten geholt haben; macht 0,49 Prozent. Es haben sich drei Fraktionen zusammengefunden, die insgesamt 210 Listenmandate vertreten, aber nur 6 Direktmandate; macht 2,8 Prozent. Jetzt haben wir einen Gesetzesvorschlag vorliegen, der die Parität von Liste und Direktmandat aufweicht.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Rechnung?)
Wir sollen nur noch 250 Wahlkreise haben, aber 380 festgeschriebene Listenmandate. Das geht zulasten der Wahlkreise, und man könnte es als erfolgreiches Lobbying zugunsten der eigenen Interessen werten, wenn man es denn wollte.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn der Vorsitzende der Grünen, Herr Habeck, in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CSU von „Geiselhaftnahme“ spricht, finde ich das schon einigermaßen unanständig.
Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Das denken doch viele bei ihnen!)
Mir hat das Zitat besonders gut gefallen: Da schreibt einer Bücher über das, was Sprache anrichten kann, und redet von „Geiselhaftnahme“.
(Benjamin Strasser [FDP]: Das könnt ihr ab!)
Ich glaube, wenn man solche Begriffe verwenden möchte, kann man das höchstens in dem Zusammenhang tun, wenn man den unmittelbaren Bezug der Menschen im Wahlkreis zu ihren Abgeordneten infrage stellt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bin einer von ganz vielen in unserer Fraktion, die ein Direktmandat errungen haben. Ich habe derzeit – ich habe es noch einmal nachgeschaut – ungefähr 193 000 Wahlberechtigte. Im Wahlkreis wohnen knapp 250 000 Einwohner. Fahrzeit im Wahlkreis von Nord nach Süd – ich habe es in der letzten Debatte bereits gesagt; viele andere haben es noch viel schlimmer –: eine Stunde. Ich nehme es ernst, wenn mich jemand anspricht.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)
Ich fahre genauso oft wie die Kolleginnen und Kollegen, die über die Liste hierhergekommen sind; ist doch klar. Aber alle haben den Anknüpfungspunkt Wahlrecht. Jeder nimmt die Gesprächsangebote wahr.
Nur, nach Ihrem Plan haben wir demnächst 300 000 Einwohner im Wahlkreis, und es wird immer schwieriger, das direkte Gespräch zu pflegen und Bürgeranfragen zu beantworten. Ich glaube, das sollten wir in dieser Zeit so nicht tun. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen über weniger Direktkandidatinnen und ‑kandidaten abstimmen. Das halte ich für falsch.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich frage mich auch, ob das, was Sie hier vertreten und wollen, mit dem Begriff „direkte Demokratie“ in Zusammenhang zu bringen ist. Ich habe einmal bei der Bundeszentrale für politische Bildung – ich glaube, sie ist unverdächtig – nachgelesen. Dort steht zur „direkten Demokratie“, dass die grundlegende Maxime sei, „den Volkswillen so unverfälscht wie möglich in politische Entscheidungen münden zu lassen“. Sie müssten doch eigentlich diejenigen sein, die dann hier für das Direktmandat eintreten bzw. für möglichst kleine Direktwahlkreise. Genau das tun Sie nicht. Da muss man fragen, welche Interessen dahinterstecken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ganz ehrlich – das wissen die Menschen da draußen auch –: Über die Direktkandidatinnen und ‑kandidaten, die sich zur Wahl stellen, kann ich mit meiner Erststimme entscheiden. Aber wie werden denn die Listen der Parteien zusammengestellt? Vielleicht nicht immer danach, wie sich die Menschen draußen entscheiden, sondern in erster Linie nach parteipolitischem Gewicht. Das ist auch vollkommen richtig. Deswegen sind wir für die Parität und das Gemeinsame, mit der paritätischen Ausrichtung Direktmandat und Listenmandat. Das ist unser Plan und unser Fahrplan, und das wollen wir auch weiter hochhalten.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Kollege Henrichmann, der Kollege von Notz hätte eine Zwischenfrage. Gestatten Sie sie?
Marc Henrichmann (CDU/CSU):
Nein, vielen Dank. Wir haben schon genug, glaube ich, in diesem Bereich gesprochen.
Was ich, ehrlich gesagt, nicht mag oder auch für falsch halte, ist – der Kollege Frieser hat es zu Recht gesagt – die Nichtzuteilung der Mandate. Ich finde die Begrifflichkeit schon schwierig und falsch; denn es ist keine Zuteilung, sondern eine Wahl und das Schenken des Vertrauens durch Wählerinnen und Wähler. Deswegen sollten wir da sehr vorsichtig sein. Solche Vorschläge halte ich für falsch.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt haben wir hier den links-grün-liberalen Wahlrechtsbeschneidungsvorschlag. Er ist kein Modell für uns. Wir hätten ihn natürlich ablehnen können, aber die Vertagung im Ausschuss hat ja auch – unser Obmann hat es gesagt – das Signal beinhaltet: Wir wollen eine Lösung finden. Wir haben uns – da sind wir Volkspartei – auf den Weg gemacht. Ja, wir haben einen Vorschlag erarbeitet. Und ich sage es auch ganz offen: Es war auch in weiten Teilen zähneknirschend, was wir da vorgelegt haben. Wir haben gesagt: Wir reduzieren moderat auf 280 Wahlkreise, und die 7 Überhangmandate werden nicht ausgeglichen. Und wir wollen das ambitioniert – weil wir ein Interesse daran haben, dass der Bundestag nicht weiter wächst – nicht erst 2025 machen, sondern 2021. Jetzt liegt der Ball nicht mehr in unserem Feld, aber wir haben einen Aufschlag gemacht, und wir halten ihn für richtig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Schlussbemerkung. Ich glaube, jetzt sollten alle nicht nur an sich, an ihre eigenen Interessen denken, sondern an das, was die Wählerinnen und Wähler draußen wollen, an das, was Bürgerbeteiligung ausmacht. Wir haben als Union einen Vorschlag vorgelegt, der für einen kleineren Bundestag und auch für eine gesellschaftliche Befriedung in weiten Teilen sorgen kann. Dann können wir vielleicht demnächst doch noch sagen: Am Ende ist alles gut geworden.
Vielen Dank und schönes Wochenende.
(Beifall bei der CDU/CSU)