Ingo Wellenreuther: Der Gesetzentwurf geht an der Realität vorbei
Redebeitrag zum Mietrechts- und Gewerbemietrechtsergänzungsgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einen Antrag der Fraktion Die Linke.
Das Ziel des Gesetzentwurfs, meine Damen und Herren, nämlich gewerbliche Vielfalt in den deutschen Innenstädten zu ermöglichen, ist zwar ehrenhaft, die Methode aber leider falsch.
(Jens Maier [AfD]: Richtig!)
Was hier zeitgleich mit dem 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung auf den Tisch gelegt wird, kann man nur als Reminiszenz an die sozialistische Planwirtschaft der DDR bezeichnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – Lachen der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Jens Maier [AfD]: Bravo! – Zuruf der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ich erkläre es Ihnen gleich, Frau Bayram.
Die Grünen fordern Kündigungsschutzvorschriften, Vertragsverlängerungsrechte und Mietpreisbremse zugunsten von Kleingewerbetreibenden und wollen Instrumente schaffen, um eine örtliche Vergleichsmiete für kleine Gewerbeeinheiten bestimmen zu können. Sie sind vom Gedanken fehlgeleitet, dass Vermieter von Gewerbeflächen in Innenstadtlagen ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert seien und Kleingewerbetreibende angeblich nicht auf Augenhöhe verhandeln könnten.
Meine Damen und Herren, die Realität sieht aber anders aus. Dies hat nämlich die Bundesregierung bereits Anfang 2019 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen festgestellt. Auch wenn unbestritten Gewerbemieten in Innenstadtlagen in den letzten zehn Jahren angestiegen sind – im Durchschnitt übrigens in ähnlicher Höhe wie Lebenshaltungskosten, Löhne und Gehälter –, gibt es keine belastbaren Daten, „die auf ein strukturelles und erhebliches Ungleichgewicht zwischen Vermietern und Mietern … schließen lassen“.
Vielerorts – das wurde gerade eben auch schon zugerufen – gibt es inzwischen leider auch relevante Leerstände, und deswegen gibt es keinen gesetzgeberischen Regelungsbedarf. Die gleichwohl geforderten Gesetzesänderungen würden in die Privatautonomie der Vertragsparteien eingreifen und würden das Eigentumsrecht der Vermieter aus Artikel 14 Grundgesetz berühren. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht damals bewogen haben, die Regelungen zur Wohnraummiete mit Artikel 14 Grundgesetz als vereinbar einzustufen, greifen bei der Miete von Gewerberäumen nicht. Der Aspekt der hohen Bedeutung der Wohnung für den Einzelnen als Mittelpunkt seiner privaten Existenz liegt bei der Ausgestaltung von Gewerberaummietverträgen gerade nicht vor. Eine Sozialbindung des Eigentums ist zwar grundsätzlich anzuerkennen – ganz klar! –, eine solche kann aber nicht zugunsten von Kleingewerbetreibenden zur Anwendung kommen, die dann aus eigenem wirtschaftlichen Interesse in besten Innenstadtlagen niedrige Mieten oder langfristige Mietverhältnisse gegen den Willen des Vermieters beanspruchen.
(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier geht es um Existenzen! Viele in Deutschland!)
– Hören Sie zu, ich erkläre es Ihnen gleich.
Auch wenn das in der Begründung des Gesetzentwurfs formulierte Motiv, eine soziokulturelle Durchmischung der Innenstädte zu erreichen und gewerbliche Vielfalt zu ermöglichen, durchaus nachvollziehbar ist – gar keine Frage! –, ist es im Übrigen nicht Aufgabe des Bundesgesetzgebers, insoweit tätig zu werden. Dieser hat sich nämlich nicht um die gewerbliche Zusammensetzung deutscher Innenstädte zu kümmern, schon gar nicht mit Gesetzen, die enteignende Wirkung auf Vermieter haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielmehr ist die Unterstützung von Kleingewerbetreibenden klassische Aufgabe kommunaler Wirtschaftsförderung und obliegt kommunaler Selbstverwaltung. Dazu gehören natürlich auch bauplanungsrechtliche Möglichkeiten der Kommune, um gewerbliche Nutzungen zu steuern, und dies wird ja immerhin in der Begründung des Gesetzentwurfs angesprochen.
Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen, meine Damen und Herren, ist der Gesetzentwurf aber auch im Konkreten nicht durchdacht und geht an der Realität vorbei. Zunächst mal gibt es viele sogenannte Kleingewerbetreibende mit hohen Umsätzen, die problemlos in der Lage sind, in guten Innenstadtlagen auch hohe Mieten zu zahlen. Auch kann man bei 250 Quadratmetern Mietfläche übrigens nicht wirklich von Kleingewerbe sprechen. Überhaupt gibt es auch in Eins‑a-Lagen in Ballungsräumen vergleichsweise wenige Gewerbeflächen, die überhaupt weniger als 250 Quadratmeter haben. Außerdem sind ja Branchen oft viel zu unterschiedlich, als dass eine Grenze von neun Arbeitnehmern und 2 Millionen Euro Umsatz ein sinnvoller Indikator für ein Kleingewerbe sein könnte.
Innenstadtgebiete als Bereiche mit einem angespannten Gewerbemietmarkt zu definieren, fällt zudem schwer, weil zuvor die Gefahr für Kleingewerbemieter bestehen müsste, keine Mietverträge zu angemessenen Bedingungen zu erhalten. Und da stellt sich natürlich die Frage: Was ist eigentlich angemessen, wer stellt das eigentlich fest und nach welchen Kriterien? Alles ungelöst!
Innenstadtbereiche sind außerdem viel zu inhomogen – das wissen Sie, glaube ich, aber alle auch selbst –, als dass sich Preise für Gewerberäume allgemein bestimmen ließen. Wenige Meter entscheiden ja oft über erhebliche Unterschiede in der Kundenfrequenz und führen zu großen Mietpreisunterschieden.
Letztlich vollkommen inakzeptabel wäre aber die beabsichtigte Regelung, dass ein Kleingewerbemieter noch zwei Monate vor Ablauf seines befristeten Mietverhältnisses eine Verlängerung des Mietvertrages um bis zu zehn Jahre Mietzeit geltend machen kann. Den Vermietern würde da wirklich jegliche Planungsmöglichkeit genommen werden, und ein Widerspruchsrecht mit Beweislastumkehr, das im Gesetzentwurf eingeräumt wird, wäre mit Blick auf den Nachweis eines berechtigten Interesses ein wirklich stumpfes Schwert.
Das Ergebnis von all diesen Punkten, die in den Entwurf reingeschrieben worden sind, wäre schließlich, dass Vermieter mit Kleingewerbemietern überhaupt gar keine Mietverträge mehr abschließen würden und damit wieder genau das Gegenteil dessen bewirkt würde, was eigentlich gewünscht wird.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dem Antrag der Fraktion Die Linke ist nach wie vor die direkte Unterstützung von in Schieflage geratenen Gewerbetreibenden vorzuziehen, anstatt unzulässig in Eigentumsrechte der Vermieter einzugreifen und geradezu staatsdirigistisch den Gewerbemietmarkt regulieren zu wollen, indem ein gesetzlich angeordneter, 30-prozentiger Mietverzicht gefordert wird. Dadurch würden nämlich viele Vermieter ihrerseits in finanzielle Schieflage geraten und ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber Banken oder Stadtwerken oft nicht mehr Folge leisten können.
Stattdessen ist deshalb dem der Vorzug zu geben, was vielerorts bereits erfolgreich praktiziert wird, meine Damen und Herren, nämlich dass viele Vermieter derzeit bereit sind, mit den Mietern konkrete Regelungen der Stundung, des Verzichts zu treffen, weil ja oft ein beiderseitiges Interesse daran besteht, langjährige, gute Mietverhältnisse aufrechtzuerhalten und gemeinsam durch die Coronakrise zu kommen.
Deswegen lehnen wir den bestenfalls gutgemeinten Gesetzentwurf der Grünen, Frau Bayram, ebenso wie den Antrag der Fraktion Die Linke ab.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Was machen Sie? – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch erst die Einbringung! Und da lehnen Sie es jetzt schon ab? Wollen Sie ihn nicht erst beraten? – Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wenn man ein Hemd falsch zu knöpfen anfängt, wird es oben eben auch nicht richtig! )