Gunther Krichbaum: Wir müssen aufpassen, dass es keine wachsweichen Formelkompromisse gibt
Auswärtiges Amt (Epl. 05)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Malsack-Winkemann, ich glaube, Sie wären gut beraten, hinsichtlich der AfD-Finanzen mal für die erforderliche Transparenz zu sorgen, bevor Sie hier das große Wort schwingen. Ich glaube, da gibt es erheblichen Redebedarf, was Ihre Partei angeht.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute Morgen zu Recht darauf hingewiesen: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Mitunter ist aber mein persönlicher Eindruck, dass nicht überall angekommen ist, dass wir diese Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Dieses „gemeinsam“ bezieht sich insbesondere auf die Europäische Union; denn wir können nur in Stabilität in der Europäischen Union leben, wenn es auch an den Außengrenzen der Europäischen Union Stabilität gibt.
Das gilt zunächst einmal für die Ukraine; denn der Ukraine-Konflikt ist in Wahrheit nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Solange Vereinbarungen, die Russland selbst eingegangen ist, gebrochen werden, so lange müssen auch die Sanktionen aufrechterhalten werden. Ich bin Außenminister Maas sehr dankbar, dass er diese Sichtweise teilt und jüngst in die Ukraine, vor allem auch in die Ostgebiete der Ukraine, gereist ist.
Wir haben die Herausforderung mit der Türkei. Wir haben eine massive Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Jeder hat von der Lira-Krise Notiz genommen, die letztlich auf einer Verschuldung der privaten Haushalte basiert, die zu einer Blase geführt haben.
Wir haben Syrien. Im Laufe der heutigen Debatte wurde schon einiges dazu gesagt. Herr Kollege Schmid, es geht natürlich überhaupt nicht darum, dass hier ein militärischer Erstschlag vorbereitet werden soll.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein!)
Vielmehr geht es darum, dass wir einem womöglich stattfindenden Einsatz von C-Waffen Einhalt gebieten müssen, der völlig völkerrechtswidrig ist; darüber besteht ja Einigkeit. Ein solcher Einsatz kann letztlich natürlich nur auf Basis eines UN-Mandats erfolgen. Das Prinzip „Responsibility to Protect“, das die Briten ins Feld führen, würde nicht greifen, weil die dafür notwendigen Voraussetzungen fehlen. Es geht letztlich darum, Druck auf Russland auszuüben, damit Russland an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
(Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU] – Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Wir haben den Fall der USA. Wir haben einen völlig unberechenbaren amerikanischen Präsidenten. Wir haben hier vor allem ein mangelndes Bekenntnis zu multilateralen Vereinbarungen; siehe jüngst das Thema Strafzölle und den Ausstieg aus dem Klimaabkommen.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Gunther Krichbaum (CDU/CSU):
Im Augenblick nicht. Danke.
Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir aufgrund all dieser Umstände die Beziehungen zu den USA nicht so verschlechtern, dass sich eine Äquidistanz herausbildet, dass es gewissermaßen gleichgültig erscheint, ob sich die Beziehungen zu Russland und den USA auf einem Niveau befinden. Das wäre ein riesengroßer Fehler. Die USA sind und bleiben unser wichtigster Bündnispartner; Kollege Wadephul hat richtigerweise darauf hingewiesen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wahr ist aber auch, dass sich Europa außenpolitisch stärker emanzipieren muss, indem es gerade auf dem Feld der Außenpolitik Handlungsfähigkeit beweist. Ich will hier nicht nur PESCO nennen, sondern auch die Rede von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten, aufgreifen. Er hat in seiner State-of-the-Union-Rede heute Morgen darauf hingewiesen, dass wir in der Außenpolitik neue Abstimmungsregeln brauchen, dass wir weg müssen vom Prinzip der Einstimmigkeit, hin zu einer qualifizierten Mehrheit. Wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, einer Meinung sind, dann muss es möglich sein, in der Europäischen Union zu entsprechenden Entscheidungen zu kommen. Andernfalls treten wir nur auf der Stelle.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bei all dem gibt es natürlich auch innereuropäische Herausforderungen. Die prominenteste unter allen ist zurzeit der Brexit. Wie ist hier der Stand der Dinge? Wir verhandeln unter der sehr guten Leitung von Michel Barnier gegenwärtig das Austrittsabkommen; denn am 29. März 2019 wird Großbritannien definitiv die Europäische Union verlassen. Uns bleiben für dieses Austrittsabkommen aber lediglich noch vier bis sechs Wochen. Denn es muss anschließend noch in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden, auch hier bei uns im Deutschen Bundestag. Die Zeit, Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist dafür denkbar knapp. Das wissen wir alle.
(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aber das Austrittsabkommen geht nur durch das Europaparlament!)
Nachher haben wir, was die weiteren, die ferneren Beziehungen angeht, die Entscheidung des Europäischen Parlaments. Das ist jetzt genau mein Punkt: Wir müssen aufpassen, dass es – nicht nur bei der Frage Nordirland/Irland, sondern auch bei den zukünftigen Handelsbeziehungen – keine wachsweichen Formelkompromisse gibt, weil wir dann als Deutscher Bundestag nicht mehr im Spiel wären. Denn das ist dann – in Anführungszeichen – „lediglich“ eine Entscheidung des Europäischen Parlaments. Mit 80 Prozent aller Punkte sind wir durch. Aber, wie gesagt, wir müssen aufpassen, dass es hier keine falschen Kompromisse gibt.
Was ich damit meine, ist: Gerade im Hinblick auf den Handelsbereich gelten die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union einschließlich der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofes. Diese dürfen nicht aufgeweicht werden. Würden wir eine Aufweichung zulassen, käme es zu einer Rosinenpickerei, die uns am Ende des Tages einholen würde, genauso wie wir es analog schon einmal mit den Opt-outs erlebten, die gemacht wurden, um Einigkeit mit Großbritannien hinzubekommen, die uns aber am Ende alle eingeholt haben. Diesen Fehler dürfen wir kein zweites Mal machen.
Wir reden heute über den Bundeshaushalt 2019. Dass es durch den Austritt Großbritanniens zu finanziellen Deckungslücken kommen wird, ist jedem klar, auch bei allen Einsparungen auf der Ebene der Europäischen Union. Gleichwohl gilt natürlich, auch wenn in einer Übergangsphase von zwei Jahren bis auf Weiteres alles erst einmal so weitergehen kann, dass auch im Bundeshaushalt Vorsorge getroffen werden muss. Das jedenfalls vermisse ich beim Bundeshaushalt 2019.
Volker Kauder, unser Fraktionsvorsitzender, hat völlig recht: Nicht nur das, was wir in Deutschland geschaffen haben, kann uns mutig und zuversichtlich für die Zukunft stimmen, sondern auch das, was wir in Europa geschaffen haben, sollte uns allen Anlass sein, mit Mut und Zuversicht die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)