Gunther Krichbaum: Wir hatten Krisensituationen, weil wir ein Zuwenig an Europa hatten
Rede zum Arbeitsprogramm 2019 der Europäischen Kommission
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Professor Weyel, das, was Sie gerade hier vom Stapel gelassen haben, ist die typische demagogische Hetze, die mit dem Einzug Ihrer Partei leider auch Einzug in den Deutschen Bundestag gehalten hat.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Beatrix von Storch [AfD]: Hören Sie doch auf! Lächerlich!)
Ich will nicht meine ganze Redezeit damit verschwenden, dem entgegenzutreten. Aber wir müssen uns nur die Terminologie anschauen: Zwergstaaten. Es gibt nur kleine Staaten in Europa und solche, die noch nicht begriffen haben, dass sie klein sind. Dieses Zitat stammt im Übrigen von Jean-Claude Juncker.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie können versuchen, mit Ihrer Hetze Wirkung zu erzielen. Aber allein das geht fehl.
Als Beispiel nenne ich die Bilanz der Kommission, zu der gerade Kollege Axel Schäfer ausgeführt hat. Ja, es gab Megathemen wie beispielsweise Migration und Außengrenzenschutz. Aber dass es nicht funktionierte, lag doch nicht an Europa. Wir haben doch nicht Krisen, weil wir ein Zuviel an Europa gehabt hätten. Wir hatten Krisensituationen, weil wir ein Zuwenig an Europa hatten. Genau das muss korrigiert werden. Das liegt nicht an der Europäischen Kommission, sondern daran, dass die nationalen Mitgliedstaaten nicht bereit sind, auf ihre Kompetenzen zu verzichten. So wird ein Schuh daraus.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das sieht man besonders gut beim Außengrenzenschutz. Ja, mit Schengen haben wir unsere Außengrenze gewissermaßen an die Außengrenze der Europäischen Union verlegt. Aber es wäre nun auch erforderlich, dass wir die Außengrenzen der Europäischen Union vergemeinschaften, das heißt, unter gemeinsame Verantwortung stellen, damit wir einen effektiven Schutz gewährleisten können. Das ist aber bislang noch nicht der Fall, weil genau die Staaten, die über eine Außengrenze in der Europäischen Union verfügen, dafür Kompetenzen abgeben müssten. Da sind wir dran
Wir diskutieren heute über das Arbeitsprogramm, das die Europäische Kommission schon im Oktober 2018 vorgelegt hat. Nur ein Hinweis: Das Europäische Parlament hat noch am selben Tag über dieses Arbeitsprogramm debattiert. Wir tun das nun drei Monate später. Der Bundesrat wird nach uns erst in 14 Tagen darüber diskutieren. Es wäre gut, wenn wir uns als Deutscher Bundestag frühzeitiger diesen Dingen widmeten und damit auseinandersetzten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Arbeitsprogramm weist die Besonderheit auf, dass wir uns mehr oder weniger mit dieser Kommission und dem Europäischen Parlament quasi im Landeanflug befinden; denn Mitte Mai wird das Europäische Parlament gewählt, und die Kommission wird ihre Arbeit einstellen müssen, weil sie danach neu zusammengesetzt wird. Die Bilanz dieser Kommission ist beachtlich. Jean-Claude Juncker hatte mit dem Projekt Erfolg, diese Kommission a) politischer werden zu lassen und b) ihr zum ersten Mal eine echte Struktur zu geben. Zuvor gab es 28 Kommissare mit 28 verschiedenen Dossiers. Kam ein neues Mitgliedsland hinzu, wussten wir eigentlich gar nicht, welches Dossier wir dem Kommissar geben sollten, den das betreffende Land berechtigterweise stellte. Die Struktur aus einem ersten Vizepräsidenten, weiteren Vizepräsidenten und den Kommissaren hat sich bewährt und sollte auch in der nächsten Legislaturperiode Platz greifen.
Auch rein inhaltlich hat diese Kommission sehr viel bewirken können. Ich darf darauf hinweisen, dass am heutigen Tag, am 1. Februar, das JEFTA-Abkommen in Kraft tritt, ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan, quasi Prȇt-à-porter. 650 Millionen Verbraucher bilden nun gewissermaßen einen einheitlichen Markt und stellen damit eine glaubwürdige Antwort auf den Protektionismus dar, mit dem man in anderen Ecken der Welt versucht zu antworten. Nein, freier Handel hat Europa immer gutgetan, hat für uns Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Genau an diesem Punkt müssen wir weitermachen.
Mit Blick nach vorne glaube ich, dass große Herausforderungen auf die Kommission warten. Zuallererst geht es um die Abwicklung des Brexit. Dieses Thema wurde viel zu sehr zu einer Nabelschau und hat über lange Zeit viele Ressourcen bei uns gebunden.
Das soll noch als Fußnote in der verbleibenden Redezeit gesagt werden, um Schieflagen in der Diskussion zu beseitigen: Das Austrittsabkommen, das nun auf dem Tisch liegt, wird nicht erneut aufgeschnürt. Nachverhandlungen sind ausgeschlossen; denn dieses Austrittsabkommen stellt bereits einen Kompromiss dar. Auch von unserer Seite wurden enorme Zugeständnisse gemacht; Frau Kollegin Brantner weiß, wovon ich rede. Das heißt, wir müssen selbstbewusst auftreten und sagen: Hier gibt es keinen neuen Deal. Großbritannien muss schauen, welchen Vorschlag es präsentiert, damit die Wirkungen eines harten Brexit vermieden werden. Das liegt im Interesse der Bürger nicht nur in Deutschland und in Großbritannien, sondern in ganz Europa.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])