Florian Hahn: Europa muss einig und stark sein
Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklärung Außen, Europa und Menschenrechte
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Weyel wäre wohl besser auf die Geburtstagsfeier seiner Tochter gegangen. Aber lassen wir das.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Die will ihn gar nicht haben!)
Das Thema und die Entwicklung um uns herum sind ernst. Führen wir uns nur die Ereignisse in den letzten Tagen vor Augen. Der amerikanische Präsident droht offen mit einem Handelskrieg und dem Abschied vom multilateralen Welthandelssystem. Der chinesische Präsident lässt die Verfassung ändern, um sich die Option auf weitere Amtszeiten zu erhalten, und zwar in Richtung unendlich. In Russland wird Präsident Putin mit rund 77 Prozent – das ist bemerkenswert – im Amt bestätigt. Aber der einzige chancenreiche Gegenkandidat war zu den Wahlen nicht zugelassen.
Diese Ereignisse zeigen, dass wir in einer Zeit leben, in der der Wind in der Weltpolitik rauer weht, in der autoritäre Staatsmodelle, nationalistische Strömungen und aggressive Außenpolitik Schule machen. Das muss uns Europäern klarmachen: Wir können unser europäisches Modell der freien und der demokratischen Ordnung und unsere soziale Marktwirtschaft nur verteidigen, wenn wir alle zusammenstehen. Europa muss einig sein und muss stark sein. Nur dann kann es auch frei sein.
Angesichts der autoritären Herausforderungen müssen wir in der EU einig sein. Bislang ist uns das zum Beispiel bei unserem geschlossenen Auftreten und der Reaktion betreffend die aggressive russische Außenpolitik gut gelungen. Die Sanktionen zeigen, dass wir zum Völkerrecht stehen. Sie sollen natürlich gelockert und irgendwann aufgehoben werden, wenn wir endlich Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen erreichen werden. Davon kann bislang aber leider nicht die Rede sein.
Im Gegenteil, nicht nur in der Ukraine gibt es eher Rückschritte als Fortschritte, sondern auch in Syrien steht Russland fest an der Seite des menschenverachtenden Regimes. Auch beim Giftanschlag auf Skripal sind wir einig. Wir stehen hier klar an der Seite Großbritanniens. Das Königreich ist nicht nur ein Freund und Partner wie andere auf der Welt, es ist und bleibt Teil der europäischen Familie. Uns und sehr vielen Menschen auf der Insel macht dieser Fall erneut bewusst: Die Entscheidung zum Brexit war ein Fehler. Nicht die EU ist der Gegner Großbritanniens; hier sind vielmehr seine engsten Freunde versammelt.
Doch wir müssen ganz im britischen Geiste pragmatisch bleiben und jetzt das Beste aus dieser Situation machen. Wir müssen einen Brexit mit einem fairen Interessensausgleich gestalten, der uns enger Partner bleiben lässt, allerdings ohne Rosinenpickerei. Innerhalb der EU müssen wir dafür sorgen, dass es eine faire Lastenteilung gibt, was die Kosten des Brexits betrifft. Es kann nicht allein Deutschlands Aufgabe sein, finanzielle Löcher zu stopfen.
Unsere Stärke in der EU sind die Einigkeit und der Ausgleich zwischen den großen und den kleinen Mitgliedstaaten, zwischen denen im Norden und denen im Süden, zwischen den alten und den neuen. Das gilt auch für die Notwendigkeit des Dialogs in der Migrationspolitik, beispielsweise mit den Visegradstaaten.
Das gilt schließlich auch für die anstehende EU-Reform. Es bleibt richtig, dass die EU die deutsch-französische Initiative von Zeit zu Zeit braucht, um Impulse zu bekommen, um Anstöße zu geben. Aber das darf eben nicht heißen, dass sich Deutschland und Frankreich einigen und dass die anderen dann folgen müssen. Die neue Bundesregierung sollte also durchaus die Hand des französischen Präsidenten ergreifen und engagiert gemeinsam an Reformplänen arbeiten. Das machen wir ja auch in unserem Koalitionsvertrag deutlich.
Aber gerade im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion oder bei der Planung des künftigen Finanzrahmens müssen auch die vorsichtigen Stimmen gehört werden. Acht nordische Staaten haben sich recht eindeutig positioniert, mit, wie ich finde, guten und bedenkenswerten Argumenten. Wir müssen also einig sein, und wir müssen stark sein. Die dramatische Weltlage, Terror und Krieg an unseren Grenzen, aber auch die strategische Herausforderung durch Russland zeigen: Wir brauchen eine bessere europäische Abwehrbereitschaft. Das haben die 25 EU-Staaten zum Anlass genommen, sich auf den Weg in eine europäische Verteidigungsunion zu machen, als Ergänzung zur NATO, als starke europäische Säule der NATO.
Stärke heißt auch starker Schutz unserer gemeinsamen Außengrenze. Der Ausbau von Frontex ist dabei der richtige Weg. Mit gemeinsamem Grenzschutz zeigen wir, dass wir die Länder am Außenrand der EU nicht alleinlassen, und wir zeigen, dass wir wissen wollen, wer in die EU kommt, und dass wir entscheiden wollen, wer kommen darf und wer nicht.
Wenn wir also einig sind und wenn wir stark sind, dann können wir Europäer auch frei sein. Einigkeit und Stärke in der Handelspolitik werden erforderlich sein, um den freien Welthandel zu erhalten. Wir Deutsche sind darauf mehr als andere angewiesen. Die EU muss ihr Gewicht als Handelsblock in die Waagschale werfen, um die USA von unüberlegten Schritten abzuhalten. Freiheit heißt Unabhängigkeit. Einigkeit und Stärke in Europa machen uns geostrategisch unabhängiger von den Machtspielen der Türkei, von chinesischer Einflussnahme, von Russland im Energiebereich, aber auch von unseren transatlantischen Partnern. Nur eine einige und starke EU kann unabhängig und damit frei sein. Gelingt es unseren Gegnern, uns zu spalten und zu schwächen, werden wir Nationalstaaten allein unsere Unabhängigkeit früher oder später verlieren.
In der heutigen Weltordnung ist die europäische Zusammenarbeit nicht Feind unserer Souveränität und Unabhängigkeit; sie ist deren Voraussetzung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)