Dr. Katja Leikert: "Grundstein für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft legen"
Rede zur Partnerschaft EU - Vereinigtes Königreich
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist so: Der Brexit ist tatsächlich gekommen. Noch spüren wir das hier nicht. Es ist eher so ein bisschen wie die Ruhe nach einem Sturm. Aber für die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament ist der Brexit schon vollzogen. Vor zwei Wochen fand dort die Abstimmung statt. Wir haben die Bilder des Abschieds noch vor Augen. Es gibt einfach nichts daran zu rütteln. Darin unterscheiden wir uns fundamental, Herr Hebner: Der Brexit ist und bleibt ein historischer Fehler und ist leider eben keine nur vorübergehende depressive Phase von Endvierzigern. Er ist und bleibt ein trauriges Kapitel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Brexit produziert am Ende nur Verlierer. Er schwächt Europa und damit denjenigen Teil der Welt, der wie kein anderer für Menschenrechte und Freiheit steht und weltweit dafür eintritt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nicht zuletzt bedeutet der Brexit, dass eine Handelsnation wie Großbritannien aus dem größten Binnenmarkt der Welt austritt. Auch das bleibt ein Irrsinn.
Das Brexit-Referendum erinnert uns darüber hinaus daran, dass die repräsentative parlamentarische Demokratie ein Fortschritt ist. Es reicht eben nicht, sich zu Demonstrationen zu versammeln, Herr Hebner. Gerade deshalb sind alle immer wieder dazu aufgefordert, jeden Tag gegen jede Falschinformation und gegen plumpen Populismus aufzustehen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Es kann sein, dass Sie gerne auf Chaos abzielen, aber es gibt ein Austrittsabkommen. Es gibt einen geregelten Austritt, und es ist eben kein Chaos-Brexit geworden. Genau das ist das Verdienst der Europäer. Wir haben geduldig, fair und vor allem geschlossen verhandelt. Es war nicht immer leicht, wenn man sich die Situation in London angeguckt hat. Es war ein Durcheinander, das alle Elemente von einem Shakespeare-Drama aufgeboten hat: Intrigen, Verrat, jede Menge Opfer und dazwischen ein tapferer, aufrechter Speaker, der immer wieder versucht hat, für Ordnung zu sorgen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Manche – auch hier in diesem Hohen Haus; Sie haben es eben getan – behaupten ja gerne, dass die Europäische Union selbst schuld sei an diesem Drama.
(Beatrix von Storch [AfD]: Und Frau Merkel!)
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Migration, das sind ja so Ihre Themen, die Sie anführen. Und wir alle wissen – besonders diejenigen von uns, die viel vor Ort in ihren Wahlkreisen sind –, dass in diesen Fragen nicht immer alles glattläuft. Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Für die Europäische Union gibt es eben keine Blaupause. Es ist richtig, dass Fehlentwicklungen schneller korrigiert werden müssen. Es ist auch richtig, dass die neue Kommission unter Ursula von der Leyen diese großen Themen jetzt beherzt angeht, auch die Reform des Asylsystems.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Ich hätte mir gewünscht, dass die Briten sich in so einer depressiven Phase eben nicht schnell davonmachen, sondern bei dem Prozess mitmachen und sich konstruktiv einbringen.
(Martin Hebner [AfD]: Die sind nicht depressiv! Ganz im Gegenteil!)
Es ist natürlich immer leichter, einfach rauszugehen und sich wieder in den Nationalstaat zurückzuziehen. Aber es gilt das Gleiche, was auch in einer Familie gilt: Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir eben auch zusammenstehen. Nur so wird man nach einer Krise gemeinsam stärker.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD] – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wieder so ein Endvierziger! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aufgeregter Endvierziger! – Zuruf von der SPD: Aber Herr Nachtwächter!)
– Es wurde ja keiner terrorisiert an der Stelle, Herr Kleinwächter. – Fakt ist: Wer rausgeht, ist eben draußen und muss auch so behandelt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Fakt ist aber auch: Der Brexit ändert nichts daran – was ein Blick auf die Weltkarte zeigt –: Großbritannien gehört zu Europa und wird immer zu Europa gehören. Briten und Europäer bleiben Nachbarn, und wir wollen, dass wir gute Nachbarn bleiben. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir ein möglichst enges Verhältnis zu den Briten. Die Grundlinien zieht unser Antrag – unser Außenminister hat es skizziert –: Wir wollen ein gutes Handelsabkommen mit den Briten abschließen, und wir wollen eine ganz enge Partnerschaft natürlich bei der inneren und äußeren Sicherheit.
Für uns ist dabei entscheidend: Wir brauchen faire Wettbewerbsregeln. Uns von der CDU/CSU liegt das Thema Wettbewerb am Herzen. Für uns ist das nichts Schlimmes.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Aber es müssen eben die Voraussetzungen stimmen. Wir brauchen gleiche Chancen für unsere Unternehmen, und dies muss die Grundlage unserer zukünftigen Handelsbeziehungen sein. Dazu gehört eben auch ein transparenter Mechanismus zur Überwachung dieser gleichen Chancen. Denn bei uns ist der Eindruck erweckt worden – nach wie vor; da verrate ich kein Geheimnis –, dass die Briten sich eben unfaire Vorteile verschaffen wollen. Das aber – auch das zeichnet die neue Beziehung aus – können wir nicht zulassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sinnvoll ist es aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion, dass eben die EU-Standards – das ist das, was wir erwarten – auch in Großbritannien beachtet werden, und zwar dynamisch, sodass jede Änderung auf EU-Ebene in Großbritannien mit vollzogen wird. Genau das hat auch das Europäische Parlament gestern gefordert. Noch sieht man das in London anders und möchte das nicht. Um das ganz deutlich zu sagen: Auch für die künftigen Verhandlungen gilt, dass es eben keine Rosinenpickerei geben kann. Man kann nicht ein bisschen Binnenmarkt machen mit ein paar Standards von hier und dort, die man irgendwie passend findet. Und es gilt auch: Wer eine Steueroase vor Europas Küsten schaffen möchte, kann eben keinen unbeschränkten Marktzugang bekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Bei allem Ärger über die Schmutzkampagne der Brexiteers und die nach wie vor teils feindselige Rhetorik der britischen Regierung – und da bitten wir auch um Abrüstung –: Wir Europäer wollen in den kommenden Monaten den Grundstein für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft legen. Wir wollen nicht, dass dieses Drama wie bei Shakespeare endet. Wir strecken die Hand aus und hoffen darauf, dass die Hand in Großbritannien auch ergriffen wird.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)