Christoph de Vries: Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, das ist absurd
Rede zu Kinderkopfverhüllungen
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Diskussion macht mich nicht ganz glücklich, weil er, finde ich, am Kern der eigentlichen Frage vorbeigeht. Stattdessen haben wir hier viele altbekannte Showkämpfe erlebt, auch zuletzt. Am Ende des Tages muss es uns um die Frage gehen: Wie kann man jungen muslimischen Mädchen ein freies, gleichberechtigtes und auch selbstbestimmtes Aufwachsen in Deutschland ermöglichen? Es muss uns darum gehen, den Gleichheitsgrundsatz zwischen Mann und Frau auch dann nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn er im Konflikt mit anderen Grundrechten steht, die wir in Deutschland haben.
Der Respekt vor der Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der angesprochen wurde und den ich auch teile, und der Respekt vor dem elterlichen Erziehungsrecht entbindet weder die Politik noch uns als Verantwortliche von der Verantwortung, das staatliche Wächteramt, den Schutz von Kindern und das Kindeswohl ernst zu nehmen. Ich finde, dieser Aspekt ist in der Diskussion bisher deutlich zu kurz gekommen. Ja, Religionsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht, aber es darf eben nicht als Feigenblatt herhalten für eine systematische Benachteiligung junger muslimischer Mädchen in Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
An die linke Seite dieses Hauses gerichtet möchte ich sagen: Wer einerseits paritätische Wahllisten fordert, wer Quoten in Aufsichtsräten fordert, wer sich mit großem Herzen um gendergerechte Sprache bemüht, dem muss es doch erst recht am Herzen liegen, wenn es um religiös-motivierte oder kulturell-motivierte systematische Geschlechterdiskriminierung von jungen Frauen in Deutschland geht. Insofern bin ich an der Stelle etwas enttäuscht von Ihnen. Ich finde, hier geht es um Glaubwürdigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)
Es ist angesprochen worden: Namhafte Frauenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes, Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer und Migrantenverbände befürworten das Kopftuchverbot in Bildungseinrichtungen. Außerdem kritisieren sie die Beschränkungen der Freiheit muslimischer Mädchen und stellen fatale Auswirkungen auf die frühkindliche Entwicklung fest. Die Integrationsstaatsministerin, Frau Widmann-Mauz, hat zu Recht gesagt: Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, das ist absurd.
Man muss sich vor Augen führen, woher das Kopftuch religionsgeschichtlich kommt. Es ist sozusagen ein Selbstschutz der Männer vor ihrer eigenen Sexualität; das muss man so sagen. Und dass wir Probleme in Deutschland haben, das ist doch unbestritten. In meinem Wahlkreis sind von den unter 18-Jährigen inzwischen 70 Prozent mit Migrationshintergrund. Wir haben viele muslimische Mädchen. Während wir noch in den 90ern zum Teil die Situation hatten, dass Mädchen mit Kopftuch gehänselt wurden, ist das heute umgekehrt: Es geraten immer mehr Mädchen unter Druck, die dieses Kopftuch nicht tragen. Denen wird gesagt: Du Ungläubige; du ziehst die Blicke der Männer auf dich; du Schlampe! – Woche für Woche kommen Lehrerinnen zu uns und berichten das.
(Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Nein! Das ist Schwachsinn! Ich habe auch in Schulen gearbeitet!)
Das sollten Sie endlich mal ernst nehmen, gerade wenn es Ihnen um Frauenrechte in Deutschland geht; ganz im Ernst.
(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Da gibt es den meisten Beifall in der AfD! Bemerkenswert!)
Es gibt eine Eingriffsrechtfertigung durch den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag im Schulwesen. Auch Religionsfreiheit findet ihre Grenzen in der Integrationsaufgabe der öffentlichen Schulen. Letztendlich geht es um die Frage, inwieweit religionsunmündige Kinder in ihrer Freiheit beschränkt werden dürfen, um ihnen auf diese Weise eine ungestörte Entwicklung hin zu einer autonom handelnden Persönlichkeit zu ermöglichen. Professor Schwarz hat das in seinem Gutachten hinreichend gesagt: Es geht um „Freiheitsgewährung durch Freiheitsbeschränkung“.
Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Kopftuch bei so kleinen Mädchen, bei Mädchen in diesem Alter nicht zu befürworten ist. Ich erlebe in der Klasse meiner eigenen Tochter – da gehen Mädchen nach der vierten Klasse aufs Gymnasium und tragen dann ein Kopftuch –, dass das Kopftuch nicht nur sexualisierend wirkt, sondern auch ausgrenzend. Deswegen sage ich Ihnen: Auch persönlich befürworte ich ein Kopftuchverbot, beschränkt auf Bildungseinrichtungen, für Mädchen, die nicht religionsmündig sind, für Mädchen unter 14 Jahren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der AfD und der FDP)
Lassen Sie mich am Ende noch zur AfD kommen: Sie haben viele kluge Menschen zitiert, Professor Schirrmacher, Professor Khorchide, Herrn Meidinger vom Lehrerverband; aber deren Klugheit hat nicht im Mindesten Eingang in Ihren Antrag gefunden. Was Sie uns hier vorlegen, ist parlamentarisches Stückwerk. Sie wägen die Grundrechtsgüter nicht ab, es gibt keinen Gesetzentwurf, es gibt vage Prüfaufträge an die Bundesregierung. Ehrlich gesagt, wer es ernst meint mit so einem Thema, der kann uns hier im Hause nicht so einen Antragspfusch vorlegen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden Ihrem Antrag noch aus einem anderen Grund nicht folgen, auch wenn im Kern einiges richtig ist. Ich muss an dieser Stelle einige Vertreter Ihrer Partei zitieren. Geht es Ihnen – das ist schon angesprochen worden – eigentlich um Gleichberechtigung?
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege de Vries, das müssen Sie im weiteren Verlauf der Debatte tun und jetzt zum Schluss kommen.
Christoph de Vries (CDU/CSU):
Dann komme ich zum Schluss und verweise auf Alice Weidel, auf Björn Höcke. Ihre Partei ist dezidiert islamfeindlich. Ihnen geht es nicht um Gleichberechtigung und nicht um junge Mädchen. Deswegen hat Ihr Antrag auch bei uns keine Chance.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)