Alexander Throm: Mit dem Gesetz helfen wir den Richtigen
Rede zu Freizügigkeitsrechten nach dem Brexit
Der Brexit an sich ist aus meiner Sicht ein Irrsinn. Gerade nach der Entscheidung vom Dienstag fragt man sich, wie es jetzt konkret weitergeht. Und für diejenigen, die als Briten in Deutschland oder aber als Deutsche in Großbritannien leben, hat dieser Irrsinn eine ganz andere, persönliche Dimension.
Mitte August betonte Boris Johnson, dass er alles daransetzen wolle, die Rechte der in Großbritannien lebenden EU-Bürger zu schützen, und schaut man auf die Internetseite der britischen Regierung, so wird dort kundgetan, dass das sogenannte EU Settlement Scheme, also das, was im Falle eines geordneten Brexits Anwendung finden würde, im Fall eines No-Deal-Brexits ebenfalls Anwendung findet. Das klingt erst einmal halbwegs vernünftig. In Gesetzesform ist es bislang jedoch nicht gegossen worden.
Und um das Chaos nicht abflachen zu lassen, deutete die Home Secretary Priti Patel erst kürzlich ein hartes Vorgehen an. Auch Boris Johnson spricht häufiger über ein neues Punktesystem, das er designen möchte. Alles in allem ist es die größtmögliche Verunsicherung.
Wir können diese Sache nicht einfach aussitzen, sondern müssen – ebenso wie die anderen Mitgliedstaaten – proaktiv handeln. Wir müssen die uns mögliche Schadensbegrenzung betreiben und den bei uns lebenden Briten Sicherheit bieten.
Man könnte den Eindruck gewinnen, wir kümmern uns mit diesem Gesetzentwurf mehr um die britischen Staatsbürger als deren Regierung selbst. Das aber sehe ich als überzeugter Europäer nicht als Kritik, sondern tatsächlich als Kompliment an; denn wir haben eine Verantwortung für die Idee Europas, wir haben eine Verantwortung für unsere Bürger, und damit meine ich auch die europäischen Bürger. Als europäische Bürger betrachten wir selbstverständlich auch diejenigen, die sich aufgrund der Freizügigkeit ein Leben in Deutschland aufgebaut haben; denn hier bei uns in Deutschland sind in der Mehrheit diejenigen Briten, die an die EU glauben und die davon überzeugt sind, dass das Leben in Europa, in Deutschland lebenswert ist.
Mit dem Gesetz helfen wir den Richtigen, nicht den EU-Gegnern. Jegliche Schadenfreude, jegliches „Das habt ihr jetzt davon“ ist hier fehl am Platz.
Tatsache ist: Für die Mehrheit der betroffenen Briten in Deutschland wird es bei der Ausstellung von Niederlassungserlaubnissen und Aufenthaltstiteln keine Probleme geben, da sie die entsprechenden Voraussetzungen des Aufenthaltsrechtes erfüllen; denn es handelt sich regelmäßig um Menschen, die nach Deutschland gezogen sind, um hier zu arbeiten oder zu studieren.
An einigen Stellen ist jedoch das Freizügigkeitsrecht großzügiger als das Aufenthaltsrecht, das für Drittstaatler gilt, und an diesen Stellen setzen wir an. Das bedeutet nicht, dass jeder Tourist, der vor der Ausländerbehörde einen britischen Pass zückt, eine Aufenthaltserlaubnis oder gar Niederlassungserlaubnis bekommt. Die betroffenen Personen müssen die Bedingungen des Freizügigkeitsgesetzes erfüllen. Sie müssen zum Beispiel Arbeitnehmer, Arbeitssuchende oder Auszubildende, Selbstständige oder Dienstleister sein. Es gilt für diese Freizügigkeitsberechtigten dann, um es einmal einfach zu sagen, eine großzügigere Handhabung.
Das sind bei der Niederlassungserlaubnis zum Beispiel die Fälle, in denen sich jemand schon lange in Deutschland aufhält, jedoch seinen Lebensunterhalt nicht vollständig alleine sichert. Bei den Menschen, die noch nicht so lange in Deutschland sind, geht es um Ausnahmefälle im Sinne des § 7 Absatz 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz. Da sind Rentner, Erwerbstätige, deren niedriges Einkommen zusätzliche Sozialleistungen nötig macht, und unfreiwillig Arbeitslose betroffen.
Das alles sind Fälle, in denen man sagen kann: Da kann man großzügig sein, man muss es aber nicht. – Wir haben uns dafür entschieden, großzügig zu sein – ohne konkrete Zusage Großbritanniens, dies in gleicher Weise zu tun.
Wer als EU-Bürger hierhergekommen ist, um hier zu leben, bleibt ein EU-Bürger. Er wird nicht zur Verhandlungsmasse. Nicht mehr aber auch nicht weniger bedeutet die jetzt vorgeschlagene Regelung. Wir zeigen damit unsere Wertschätzung für die hart erkämpfte Freizügigkeit und für unsere europäischen Mitbürger, und wir setzen damit ein klares Zeichen gegen das Chaos. Das ändert nichts daran, dass wir selbstverständlich eine klare Erwartung an Großbritannien richten, dass gleichermaßen großzügig mit den dort lebenden EU-Bürgern verfahren wird.