"Wir Deutsche müssen Freude an der Zukunft haben"
Ralph Brinkhaus im Interview mit FOCUS Online
Deutschlands Stärke in der Zukunft hänge von seiner Innovationsfähigkeit ab, betont Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus im Gespräch mit FOCUS Online. Er macht klar, dass es jetzt darauf ankommt, das Zeitalter der Digitalisierung für die Bürgerinnen und Bürger zum Erfolg zu machen. Beim Thema Innere Sicherheit lässt er keinen Zweifel: "Die Bürger werden dem Staat nur dann vertrauen, wenn er sie vor Kriminalität, Terror und äußeren Gefahren schützen kann. Dafür brauchen wir eine gute Polizei, Justiz und Bundeswehr". Lesen Sie hier das ganze Interview:
FOCUS Online: Als Vorsitzender der größten Fraktion im Bundestag sind Sie einer der politisch wichtigsten Männer der Republik. Werden Sie auf der Straße jetzt häufiger erkannt und angesprochen?
Ralph Brinkhaus: Es ist ja noch alles ziemlich frisch. Natürlich werde ich etwas häufiger angesprochen. Aber ich bin auch eigentlich nicht so wichtig. Die Fraktion ist der Mittelpunkt.
FOCUS Online: Klingt es für Sie selbst nach ihren ersten zwei Monaten im Amt noch ungewohnt, wenn Sie Meldungen hören, die mit der Formulierung „der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Ralph Brinkhaus“ beginnen?
Brinkhaus: Ach nö. Das ist ja nun einmal meine Position.
FOCUS Online: Sie wurden gewählt, obwohl die Kanzlerin inständig gebeten hat, dass der bisherige Fraktionschef Volker Kauder im Amt bleibt. Ist das eine Dauer-Hypothek für Ihr Verhältnis zu Angela Merkel?
Brinkhaus: Überhaupt nicht. Das hat nach sehr kurzer Zeit keine Rolle mehr gespielt. Wir stimmen uns häufig und eng ab.
"Wir Deutsche müssen Freude an der Zukunft haben"
FOCUS Online: Als Mann der Zahlen sind Sie Vielen in Berlin schon lange ein fester Begriff. Welche Themen liegen Ihnen sonst noch am Herzen?
Brinkhaus: Die Themen Finanzen und Wirtschaft habe ich jahrelang bearbeitet. Da werde ich weiter daran bleiben. Eines wird leider immer vergessen: Deutschlands Stärke in der Zukunft hängt von seiner Innovationsfähigkeit ab. Wir Deutsche müssen Freude an der Zukunft haben. Diese Botschaft will ich mithelfen zu verbreiten. Die innere und äußere Sicherheit wird mein zweites Kernthema sein. Ich habe ganz bewusst kurz nach meiner Wahl die Bundeswehr und die Bundespolizei besucht. Die Bürger werden dem Staat nur dann vertrauen, wenn er sie vor Kriminalität, Terror und äußeren Gefahren schützen kann. Dafür brauchen wir eine gute Polizei, Justiz und Bundeswehr.
FOCUS Online: Der Fraktionsvorsitzende ist ja ohnehin immer Allrounder.
Brinkhaus: In dieser Position bekommt man verständlicher Weise alle Themen auf den Tisch. Aber das kennt im Grunde auch jeder Wahlkreisabgeordnete. Da stehen Sie beim Schützenfest und jemand fragt Sie: „Wie geht es mit dem Einsatz von Düngemitteln weiter?“ Da müssen Sie spontan antworten können. Auch in den Wahlkreis-Sprechstunden kommen die Bürger mit allen denkbaren Themen auf Sie zu.
FOCUS Online: Vor einigen Tagen kam ein Thema auf, das bisher kaum beachtet wurde: der UN-Migrationspakt. Plötzlich gibt es eine Riesenaufregung. Braucht die Welt, braucht Deutschland diesen Pakt?
Brinkhaus: Wir haben in der Fraktion bereits intensiv über den Pakt gesprochen. Wir werden die Diskussion am kommenden Dienstag fortsetzen und uns positionieren. Wir wollen die Diskussion weiter versachlichen und Besorgnissen entgegentreten. Nach dem bisherigen Stand der Debatte überwiegt in meiner Fraktion die Auffassung, dass der Pakt den deutschen Interessen dient. Auch ich teile diesen Standpunkt. Erstmals gäbe es nach der Annahme des Pakts eine international breit getragene politische Absichtserklärung, illegale Migration zu unterbinden und Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch die im Pakt angesprochene Einhaltung von sozialen Mindeststandards für Migranten kann uns helfen.
FOCUS Online: Die Vorgaben im Pakt sind nicht bindend.
Brinkhaus: Der Pakt ist aus meiner Sicht ein erster Schritt in dem Bemühen, weltweit mehr Ordnung in die Migration zu bringen. Das ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Aber er hilft auch den Migranten, die nicht in Deutschland sind.
FOCUS Online: Wie?
Brinkhaus: In den Golfstaaten zum Beispiel gibt es viele Wanderarbeiter aus Pakistan und Indien. Sie arbeiten unter schrecklichen Verhältnissen. Wenn für sie gewisse soziale Mindeststandards gelten würden, wie im Pakt angesprochen, würden sie vermutlich eher davon abgehalten, in andere Länder aufzubrechen.
FOCUS Online: Ihr Parteifreund Jens Spahn fordert, dass die CDU auf ihrem Parteitag über den Pakt redet.
Brinkhaus: Der Parteitag entscheidet, worüber er sprechen will oder nicht.
FOCUS Online: Ihr Parteifreund Friedrich Merz stellt jetzt das individuelle Recht auf Asyl in Frage. Wie sehen Sie das?
Brinkhaus: Friedrich Merz hat seine Aussage jetzt klargestellt. Eine Partei wie die CDU wird das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte nicht antasten. Das dieses Grundrecht ist nicht zuletzt Ausdruck des christlichen Menschenbildes, das uns in der CDU leitet. Friedrich Merz hat natürlich Recht damit, dass die Flüchtlingspolitik letztlich nur europäisch gelöst werden kann. Generell sollten wir aufpassen, dass nicht die Flüchtlingspolitik die nächsten zwei Wochen bis zum Parteitag dominiert. Sie ist ein wichtiges Thema. Die Zukunft Deutschlands hängt aber zum Beispiel stärker davon ab, wie wir das Zeitalter der Digitalisierung für die Bürgerinnen und Bürger zum Erfolg machen.
"Der Grundsatz des Förderns und Forderns hat sich bewährt"
FOCUS Online: Die SPD ruft gerade ein anderes Thema auf. Ihre Kollegin Andrea Nahles spricht sich für einen Systemwechsel bei Hartz IV aus, so dass Sanktionen weitgehend wegfallen. Sie will so die Würde arbeitsloser Menschen stärken. Zieht die Union hier mit?
Brinkhaus: Der Grundsatz des Förderns und Forderns hat sich bewährt. Zur Erinnerung: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit 2005 halbiert. Und nur rund 3 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher wurde zuletzt tatsächlich die Leistung gekürzt. Man sollte die Grundsicherung nach Hartz IV nicht schlecht reden.
FOCUS Online: Der Druck auf Arbeitslose soll also aufrechterhalten bleiben?
Brinkhaus: Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Zugleich muss der Staat Menschen in Notlagen helfen. Dann ist es aber auch zumutbar, wenn verlangt wird, dass sich Empfänger von Arbeitslosengeld II bemühen müssen, Arbeit zu finden, damit sie wieder auf eigene Füße kommen. Statt diesen Grundgedanken aufzugeben, sollte man an anderen Punkten ansetzen: Wie erreichen wir, dass möglichst wenige Menschen langfristig arbeitslos werden? Und wie bekommen wir es hin, dass Arbeitslose aus Hartz IV wieder möglichst schnell rauskommen?
FOCUS Online: Darüber hinaus bleibt alles wie gehabt?
Brinkhaus: Im Koalitionsvertrag ist eine Erhöhung des Kinderzuschlags vorgesehen. Mit dem Kinderzuschlag soll verhindert werden, dass Familien mit kleinem Einkommen in Hartz IV rutschen, wenn sich Nachwuchs einstellt. Der Bundestag hat zudem ein Paket verabschiedet, das Langzeitarbeitslosen neue Beschäftigungschancen eröffnen soll.
FOCUS Online: Da werden Sie Andrea Nahles also kaum entgegenkommen. Wie muss man sich eigentlich das Verhältnis zu Ihrer SPD-Kollegin vorstellen? Es begann ja mit einem Blumenstrauß, den sie Ihnen gleich nach Ihrer Wahl schicken ließ. War das ein Vorzeichen für eine blühende Beziehung unter Kollegen?
Brinkhaus: Wir arbeiten gut zusammen.
FOCUS Online: Die Lage insgesamt ist ja alles andere als gemütlich. Die Koalition wäre im Sommer fast zerbrochen, die Union stand am Rande der Spaltung. Ist nach solchen Krisen eine Koalition überhaupt wieder richtig zu kitten?
Brinkhaus: Die Vorgänge, die Sie ansprechen, waren für alle eine Lehre.
FOCUS Online: Erwarten Sie also, dass diese große Koalition bis zu ihrem regulären Ende, bis zum Spätsommer 2021 mit Angela Merkel als Kanzlerin weiterarbeitet?
Brinkhaus: Das haben wir vor.
FOCUS Online: Wird in der Koalition alles leichter, wenn Horst Seehofer im Januar den CSU-Vorsitz aufgibt? Der Streit zwischen ihm und Angela Merkel ist ja chronisch.
Brinkhaus: Schon heute hat Markus Söder als Bayerns Ministerpräsident eine Schlüsselrolle in der CSU. Die Zusammenarbeit mit ihm wird jetzt noch intensiver. Horst Seehofer bleibt Bundesinnenminister. Ich bin ja noch nicht so lange Fraktionsvorsitzender, aber bisher klappt die Zusammenarbeit mit ihm ausgesprochen gut.
FOCUS Online: Auch in ihrer Partei steht ein Wechsel an der Spitze bevor. Der Dreikampf zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn um die Führung der CDU ist sehr spannend. Wer ist Ihr Favorit?
Brinkhaus: Als Fraktionsvorsitzender bleibe ich neutral.
FOCUS Online: Mehr Beteiligung von Parteimitgliedern und von Abgeordneten im politischen Betrieb ist eines Ihrer großen Themen. Sie wollen, dass die Fraktionsmitglieder mehr Einfluss auf das Regierungshandeln haben.
Brinkhaus: Mein Vorgänger Volker Kauder hat lange Jahre eine sehr gute Arbeit gemacht. Dafür danke ich ihm. Die Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen wollte aber eine Erneuerung der Fraktionsarbeit. Für die bin ich angetreten. Für die bin ich gewählt worden. Beispiel: Wir werden neben den Arbeitsgruppen zu wichtigen Zukunftsfragen künftig Projektgruppen einrichten. In denen sollen Abgeordnete mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten von Anfang an gemeinsam über ein Thema nachdenken. Die Ergebnisse werden wir dann mit der Bundesregierung diskutieren.
FOCUS Online: Hand aufs Herz, Herr Brinkhaus, bei einer so schwierigen Koalition wie dieser, die von Beginn an auf der Kippe stand, werden alle heiklen Punkte schon im Koalitionsvertrag festgelegt. Ist die politische Arbeit für die Abgeordneten da nicht wie Malen nach Zahlen?
Brinkhaus: Da machen Sie sich mal keine Sorgen! Die einzelnen Vorhaben sind im Koalitionsvertrag nur umrissen und müssen nun konkretisiert werden. Außerdem wollen wir eigene Impulse setzen.
"Europa braucht auf lange Sicht eine europäische Armee"
FOCUS Online: In einem Bereich könnten die Abgeordneten allerdings künftig vielleicht weniger mitreden: Bisher musste der Bundestag Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen – Stichwort „Parlamentsvorbehalt“. Jetzt melden einige Bedenken an, ob das auf Dauer haltbar ist.
Brinkhaus: Der Parlamentsvorbehalt ist richtig. Ich bin auch stolz darauf, dass wir eine der wenigen Parlamentsarmeen haben. Wenn der Staat Soldatinnen und Soldaten in Gefahr schickt, sollte der Bundestag als direkt vom Volk legitimiertes Staatsorgan darüber entscheiden. Denn es geht hier oft um Leben und Tod.
FOCUS Online: Wenn eine europäische Armee aufgebaut wird, könnte das der Vergangenheit angehören.
Brinkhaus: Europa braucht auf lange Sicht eine europäische Armee. Sie wäre Ausdruck dafür, dass die EU gemeinsam für seine Werte einsteht. In diesem Fall müssen wir sicher unseren Parlamentsvorbehalt anpassen. Das ist aber keine Frage, die momentan ansteht.
FOCUS Online: Politiker wie Friedrich Merz glauben, dass eine europäische Verteidigungsstruktur auf Dauer nationale Armeen wie die Bundeswehr überflüssig macht. Teilen Sie diese Einschätzung?
Brinkhaus: Friedrich Merz hat mit anderen Persönlichkeiten wie dem Philosophen Jürgen Habermas vom Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee gesprochen. Das ist richtig.
FOCUS Online: Europa scheint Ihnen ohnehin sehr wichtig zu sein. Sie haben neulich angekündigt, Sie würden jede Ihrer Reden mit dem Hinweis beginnen, dass Europa ein großes Friedensprojekt ist.
Brinkhaus: Richtig. Europa ist in erster Linie kein Finanzprojekt. So kommt es leider oft rüber. Mir prägen die Finanzminister zu sehr das Bild von Europa.
FOCUS Online: Das sagen Sie als ausgewiesener Finanzexperte?
Brinkhaus: Natürlich. Die EU ist das erfolgreichste Friedensprojekt in der Geschichte Europas. Sie hat die Menschen des Kontinents zusammengebracht. Der gemeinsame Markt hat den Wohlstand gefördert. Das alles zusammen ist eine Erfolgsgeschichte. Natürlich möchte kein Mitgliedsland, dass ein anderes auf seine Kosten lebt.
FOCUS Online: Es geht nun einmal um gigantisch viel Geld.
Brinkhaus: Ja. Aber man darf europäische Debatten nicht permanent auf das Geld reduzieren. Dann schadet man Europa.
Focus Online: Sie haben bisher Fragen, ob Sie auch Interesse daran hätten Kanzler zu werden, immer nur ausweichend beantwortet. Das kann man nur so interpretieren, dass das für Sie eine Option ist, die in der Zukunft konkret werden könnte, oder?
Brinkhaus: Ich habe gerade erst eine große Aufgabe in der Fraktion mit 246 Kolleginnen und Kollegen übernommen. Das ist einer der verantwortungsvollsten Posten in der Bundesrepublik. Ich habe einen schönen Ausblick. Was will ich mehr?
FOCUS Online: Der schöne Ausblick hier bei Ihnen in der fünften Etage reicht ja auch bis zum Kanzleramt.
Brinkhaus: Gucken Sie mal genau hin: das Kanzleramt kann ich nicht sehen. Da steht der Reichstag dazwischen. Und da schaue ich hin.
Interview von Ralph Brinkhaus mit FOCUS Online | Fragen von Margarete van Ackeren | Online erschienen unter focus.de