"Ohne Absprache - das geht nicht"
Andreas Jung im Interview mit n-tv.de
Im Interview mit n-tv.de lehnt Andreas Jung, Europa-Experte und Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe, nationale Lösungen in der Migrationspolitik ab. "Wenn man so etwas einseitig macht, kommt es zu einem Dominoeffekt". Jung verlangt eine enge Abstimmung mit den europäischen Partnern.
n-tv.de: CDU und CSU streiten über einen Masterplan, den kaum jemand gelesen hat. Ist das nicht ein wenig ungewöhnlich?
Andreas Jung: Ich wünsche mir, dass wir den Plan möglichst bald zu Gesicht bekommen, um ihn diskutieren zu können. Schließlich geht es um wesentliche Entscheidungen von großer Bedeutung. Wir haben nach der Bundestagswahl mit der CSU drei Wochen gerungen, um in der Migrationspolitik zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Ich gehe fest davon aus, dass die Einigung, die damals getroffen und dann auch im Koalitionsvertrag verankert wurde, Grundlage des Masterplans ist. Da wir den Plan nicht kennen, konzentriert sich der Streit auf die eine Maßnahme, über die Merkel und Seehofer keinen Konsens haben.
Das ist die Frage der Zurückweisungen an der Grenze.
Andreas Jung: Auch da ist das genaue Konzept unbekannt. Deshalb ist unklar, wie das konkret umgesetzt werden und wie es funktionieren soll. Wir brauchen eine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Dafür muss man den Plan kennen.
Haben Sie eine Theorie, warum Seehofer seinen Plan geheim hält?
Andreas Jung: Darüber könnte ich nur spekulieren. Es ist offensichtlich die Absicht, ihn erst vorzustellen, wenn zwischen den Parteispitzen ein Konsens erreicht ist. Aber auch dann muss er ja noch von der Fraktion beraten werden.
Soweit bekannt, will die CSU, dass Flüchtlinge und Migranten, die in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac registriert sind, an der Grenze abgewiesen werden. Was ist daran problematisch?
Andreas Jung: Eine solche Maßnahme muss mit den europäischen Partnern abgestimmt sein. Wenn man so etwas einseitig macht, kommt es zu einem Dominoeffekt: Die Österreicher weisen ihrerseits an der italienischen Grenze ab, mit der Folge, dass die Italiener sich - völlig zu Recht - alleingelassen fühlen. Wir wären in genau der Situation, die wir zu Beginn der Flüchtlingskrise hatten. Wir würden auch riskieren, dass dann noch mehr Flüchtlinge einfach ohne Registrierung durch Italien durchreisen. Deshalb sind wir als CDU der Meinung, dass man sich bei diesem Thema eng mit betroffenen Ländern abstimmen muss.
Erneuter Aufruf zu sachlicher Debatte über die Frage der Zurückweisung an den Grenzen aus der #cdu - konkret vom Vorsitzenden der baden-württembergischen Landesgruppe in der @cducsubt Andreas Jung. Lesenswert. Alle Folgen bedenken! #Zurückzursachehttps://t.co/Ezr8W3Na1Q
— Ulrich Scharlack (@ulrichscharlack) June 22, 2018
Seehofer hat jetzt angeordnet, dass zurückgewiesen wird, wer eine Einreisesperre hat. Das gilt aber nur dort wo es Grenzkontrollen gibt - und die gibt es nur an drei Übergängen an der deutsch-österreichischen Grenze. Wir haben doch 2015 gelernt, dass sich solche Maßnahmen rasch herumsprechen. Daher besteht das Risiko, dass Migranten einfach auf andere Grenzübergänge oder etwa auf die deutsch-schweizerische Grenze ausweichen. Alle diese Fragen müssen intensiv geprüft und mit den Partnern geklärt werden.
Volker Bouffier hat gerade in der "Zeit" darauf aufmerksam gemacht, dass die CSU weder bei der Einigung mit der CDU nach der Bundestagswahl noch in den Jamaika-Sondierungen oder in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD Zurückweisungen gefordert hat. Das legt den Verdacht nahe, die CSU habe geradezu ein Thema gesucht, um erneut mit der CDU streiten zu können.
Andreas Jung: Die Forderung war bekannt, wurde aber nicht Gegenstand der Unionseinigung und steht nicht im Koalitionsvertrag. Natürlich muss man trotzdem darüber reden, wenn ein Ressortminister eine Maßnahme fordert, die er für notwendig hält. Aber es kann dann nicht einseitig ohne Absprache umgesetzt werden.
Haben Sie Angst vor einer Spaltung der Unionsfraktion?
Andreas Jung: Wir haben eine sehr ernste Situation. Im Moment ist nicht absehbar, wie sich die nächsten Wochen entwickeln. Es ist daher jetzt die Verantwortung aller Beteiligten, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Der Streit zwischen CDU und CSU hilft niemandem, er schadet beiden Parteien. Ich komme aus Baden-Württemberg, da sind wir regional, manchmal auch von der Mentalität her, nah an Bayern dran. Da trifft es uns besonders. Streit führt in einer Atmosphäre, die ohnehin von Unsicherheit geprägt ist, zu noch mehr Verunsicherung. Deshalb wünsche ich mir, dass wir einen gemeinsamen Weg finden - mit konsequenten Maßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag ja auch vereinbart haben.
In der Unionsfraktion steht eine Mehrheit der Abgeordneten inhaltlich näher bei Seehofer als bei Merkel. Wie lange werden die noch die Kanzlerin unterstützen?
Andreas Jung: Die Kanzlerin und ihre Position wurden am Donnerstag vergangener Woche, als die Fraktionsteile von CDU und CSU getrennt tagten, in der Sitzung der CDU ganz eindeutig unterstützt. Ihr Vorschlag, ihr zwei Wochen Zeit für Verhandlungen mit den europäischen Partnern zu geben, bekam die deutliche Zustimmung in der Sitzung der CDU-Bundestagsabgeordneten genauso wie in Präsidium und Bundesvorstand der Partei.
Damit ist der Streit nur aufgeschoben.
Andreas Jung: Geklärt ist noch nichts, aber wir haben ein Vorgehen vereinbart. Jetzt verhandelt die Kanzlerin, um wenigstens bilaterale Absprachen zu treffen, wenn eine europäische Lösung nicht möglich sein sollte. Der erste Schritt ist auch bereits getan. Beim Treffen in Meseberg haben Merkel und Macron vereinbart, dass zwischen Deutschland und Frankreich ein Abkommen geschlossen wird: Flüchtlinge, die in einem der beiden Länder registriert sind und ins andere Land gehen, werden künftig vom Erstaufnahmeland zurückgenommen. Das ist die Basis für weitere Gespräche.
Am Sonntag findet in Brüssel ein Sondertreffen einiger EU-Staaten statt. Was passiert, wenn es dort kein Ergebnis gibt?
Andreas Jung: Ich rechne nicht damit, dass wir bereits an diesem Wochenende ein Ergebnis in Form eines schriftlich fixierten Vertrags haben werden - die Verhandlungen gehen ja dann weiter und am 28. und 29. Juni ist dann der Europäische Gipfel. Dann sind auch die zwei Wochen vorbei und man wird sehen, was herausgekommen ist. In diesem Lichte kann dann über nationale Maßnahmen entschieden werden.
Aber einen Automatismus gibt es nicht?
Andreas Jung: Nein.
In Meseberg haben Merkel und Macron sich auch auf gemeinsame Vorschläge für eine Reform der Eurozone verständigt. Seehofer sagte dazu, es sei kein guter Stil, wenn man solch wichtige Vereinbarungen trifft, ohne die CSU zu beteiligen. War nicht klar, dass die CSU ein Eurozonenbudget ablehnen würde?
Andreas Jung: Wir hatten am 5. Juni eine Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - das war, bevor dieser Asylstreit losging. Darin hat die Kanzlerin Punkt für Punkt erläutert, wie sie sich eine Reform der Eurozone vorstellt. In dieser Fraktionssitzung hat sie wirklich in aller Ausführlichkeit ihre Vorstellungen dargelegt. Dafür gab es viel Unterstützung. Und das entsprach in allen wichtigen Punkten dem, was später in Meseberg beschlossen wurde - auch das Ziel eines neuen Investivhaushalts hatte sie ausdrücklich genannt.
Das würde bedeuten, dass auch dieser Streit von der CSU inszeniert wurde.
Andreas Jung: Das ist Ihre Interpretation.
Ein CSU-Vorstandsmitglied hat gesagt: "Wir haben die Sorge, dass Angela Merkel jetzt mit dem Scheckbuch durch Europa läuft."
Andreas Jung: Der Vorwurf ist abwegig. Ursprünglich hatte Macron einen dreistelligen Milliardenbetrag für das Budget genannt, die Kanzlerin hatte in ihrem Interview in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vor drei Wochen von einem "unteren zweistelligen Milliardenbetrag" aller Partner gemeinsam gesprochen - und in der Meseberger Erklärung steht gar keine Summe. Zudem bleibt es auch dabei: Mit uns wird es keine Transferunion geben!
Quelle: n-tv.de. Mit Andreas Jung sprach Hubertus Volmer