Migrationspakt: Mehr Vorteile als Nachteile
Stephan Harbath im Interview mit dem Deutschlandfunk
Im Dezember soll in Marokko der UN-Migrationspakt unterschrieben werden. Die USA wollen nicht mitmachen, Australien nicht, Österreich ist raus, Ungarn ebenfalls, weitere europäische Länder überlegen, ob sie überhaupt unterschreiben sollen. Sie fürchten die Einschränkung ihrer Souveränität. Die Bundesregierung sagt, keine Sorge, der Vertrag ist ja gar nicht bindend. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Stephan Harbarth, will eine gemeinsame Position finden, zusammen mit der SPD, und das Parlament soll sich in einer Abstimmung positionieren.
Der Migrationspakt ist rechtlich nicht bindend, sagt auch die Bundeskanzlerin. Warum sollte Deutschland ihn dann überhaupt unterschreiben?
Harbarth: Wir sind im Bereich der Migration mit einer ganz großen globalen Herausforderung konfrontiert. Wir sehen, dass wir nach Europa und nach Deutschland einen erheblichen Migrationsdruck haben. Warum? Wir haben diesen Migrationsdruck deshalb, weil Migranten in vielen anderen Ländern der Welt nicht in den Genuss von Mindeststandards kommen: Keine Gesundheitsversorgung, keine staatlichen Grundleistungen, kein Zugang zum Arbeitsmarkt und so weiter.
Das führt dazu, dass wir eine regelrechte Sogwirkung, eine Magnetwirkung in Richtung Europa und Deutschland haben, und deshalb muss es unser nationales Interesse sein, Mindeststandards im Umgang mit Migranten als politische Absichtserklärung global vorzusehen, um den Migrationsdruck zu reduzieren. Wir wollen, dass Migranten auch in anderen Ländern bleiben und sich nicht auf den Weg nach Deutschland machen.
Hoffen Sie, dass andere Länder ihre Mindeststandards verbessern, weil sie den Pakt unterschrieben haben?
Harbarth: Das ist unsere Hoffnung. Der Pakt ist rechtlich nicht verbindlich. Aber bevor man beginnt, etwas rechtlich Verbindliches zu verabschieden, muss man ja einmal miteinander ins Gespräch kommen und muss man politische Ziele definieren. Im Augenblick gehen diese politischen Ziele in der Welt weit auseinander, weil wir in Europa sagen, Migranten bekommen beispielsweise Gesundheitsversorgung, und viele andere Länder sagen, sie bekommen keine Gesundheitsversorgung. Deshalb ist es aus unserer Sicht ganz klar: In dem Moment, in dem wir global uns darauf einigen, Migranten erhalten nicht nur in Europa, sondern auch andernorts Gesundheitsversorgung, werden diejenigen, die sagen, das ist für mich aber ganz wichtig, eine Bleibeperspektive in den anderen Ländern haben, und das ist für uns ganz zentral.
Nun sagt aber selbst die Bundeskanzlerin, dass dieser Vertrag nicht bindend ist, und sie hat das bei einem Termin im Ausland gesagt. Wieso sollten andere Länder diesen Pakt ernster nehmen, wenn nicht mal Deutschland es tut?
Harbarth: Es geht doch darum, dass man zunächst einmal miteinander ins Gespräch kommt auf der Welt über die Frage, welche Mindeststandards wollen wir politisch. Auch dann, wenn das rechtlich nicht verbindlich ist, muss man doch miteinander sprechen. Bevor man vielleicht eines Tages irgendetwas rechtlich Verbindliches macht, muss man gemeinsame Ziele definieren. Wer diesen ersten Schritt nie tut, der wird jedenfalls nie an den Punkt kommen, dass sich der Mindeststandard im Umgang mit Migranten in den Ländern verbessert, in denen das dringend erforderlich wäre, auch aus deutscher Perspektive.
Wenn Sie jetzt sagen, man muss sich erst mal auf Ziele einigen – das heißt, Sie unterstützen das, was in diesem Migrationspakt drinsteht?
Harbarth: Wir sind der festen Überzeugung, dass die Vorteile dieses Migrationspakts aus deutscher Perspektive die Nachteile weit überwiegen. Es ist ein Pakt, dem ungefähr 180 Länder dieser Welt beitreten möchten. Wenn 180 Länder der Welt ein Dokument verhandeln, dann ist die Annahme naiv, dass jeder einzelne Satz von Deutschland vorgegeben und von den anderen abgenickt werden könne. Da gibt es natürlich Sätze, die gefallen einem besser, und es gibt Sätze, die gefallen einem vielleicht nicht ganz so gut. Aber wir haben an ganz vielen zentralen Stellen einen großen Schritt nach vorne gemacht. Die Länder, auch die das heute nicht machen, bekennen sich zu dem politischen Ziel Gesundheitsversorgung, unter Umständen Zugang zum Arbeitsmarkt, Grundleistungen, Rücknahme von Staatsangehörigen, die in anderen Ländern kein Bleiberecht haben – für uns in Deutschland und in Europa ein ganz wichtiger Punkt, dass die Länder, aus denen wir Migranten hier haben, die kein Bleiberecht haben, hier wenigstens, wenngleich nicht rechtlich verbindlich, aber doch politisch noch einmal klar erklären, wir sind bereit, unsere eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen.
Sie haben jetzt schon viele Details genannt. Eins würde ich auch gerne noch aufgreifen. Der Pakt sieht ja vor, dass Migranten gerettet werden, wenn sie in Gefahr geraten. Machen Sie sich dafür stark, dass Italien die Seenotrettung im Mittelmeer wieder zulässt?
Harbarth: Wir werden uns im Einzelnen anschauen, wenn der Pakt von allen unterzeichnet worden ist, was das für das Mittelmeer bedeutet. Für uns ist immer klar gewesen, es ist inakzeptabel, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wir wollen nicht, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wir wollen auch nicht, dass Menschen, die kein Bleiberecht in Europa haben, nach Europa kommen. Deshalb werden wir alles dafür tun sicherzustellen, dass die Menschen auf der anderen Seite des Meeres, nämlich in Nordafrika und in Afrika eine Bleibeperspektive haben, und gerade dafür ist dieser Pakt so wichtig.
Ihr Parteikollege Jens Spahn sagt mit Blick auf diesen Migrationspakt, es ist wichtig, dass Deutschland seine Souveränität behält, Migration zu steuern und zu begrenzen. Behält Deutschland diese Souveränität?
Harbarth: Das ist doch ganz ausdrücklich klar gestellt in dem Migrationspakt. In Ziffer sieben heißt es, die Souveränität der Staaten wird gewahrt. Wenn ich Ihnen vielleicht nur einen Satz vorlesen darf? In Ziffer 15 heißt es: „Es ist das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln.“ Klarer kann man das nicht zum Ausdruck bringen.
Wenn das da so klar steht, warum betont Jens Spahn das dann so explizit?
Harbarth: Es gibt viele Sorgen im Augenblick in der Bevölkerung, die auch uns in der Politik erreichen. Wir müssen uns deshalb mit diesen Sorgen auseinandersetzen. Aber wir müssen vor allen Dingen den Menschen sagen, was in diesem Pakt genau drinsteht. Ich habe selten erlebt, dass über einen Pakt so viele Falschbehauptungen verbreitet worden sind wie über diesen Pakt. Deshalb rate ich sehr dazu, sich einfach die zentralen Bestimmungen anzuschauen, und dann wird man feststellen, das liegt im nationalen Interesse Deutschlands.
Wie konnte das denn überhaupt passieren, dass die Politik dieses Thema so lange Rechtspopulisten und auch Rechtsradikalen überlassen hat?
Harbarth: Aus meiner Sicht hat man die Sprengkraft dieses Themas und das Verhetzungspotenzial, das hinter diesem Thema steht, lange verkannt. Man hat unterschätzt, wie sehr Rechtspopulisten den Inhalt dieses Pakts verdrehen können. Die Kommunikation aus dem Bereich der Politik heraus ist schlecht gelaufen. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Das hilft uns aber jetzt nicht weiter. Jetzt geht es um die Frage, ist dieses Dokument aus deutscher Sicht vernünftig, oder ist es unvernünftig. Wir meinen, es ist vernünftig. Das werden wir ab sofort mit voller Überzeugung und in ganz klarer Kommunikation nach außen tragen.
Glauben Sie, dass das tatsächlich reicht, um die Bürgerinnen und Bürger noch zu erreichen? Sie haben es angesprochen: Über Wochen hinweg waren zahlreiche Falschinformationen darüber in der Welt, vor allem in den sozialen Netzwerken, und viele Bürger(innen) glauben Ihnen ja schlichtweg nicht mehr. Wie wollen Sie an die noch herankommen?
Harbarth: Wenn man der Auffassung ist, dass eine Position richtig ist, dann muss man für diese Position auch dann eintreten, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst. Das werden wir hier tun. Ich habe in den vergangenen Tagen erlebt, wenn ich mit Menschen gesprochen habe und ihnen erklärt habe, warum dieser Pakt im nationalen Interesse Deutschlands liegt, dann haben sie das sehr wohl verstanden. Das Ganze wird jetzt ein mühsamer Überzeugungsprozess, aber wer nicht beginnt, diesen Weg anzutreten, der wird jedenfalls nie ans Ziel kommen.
Was sagen Sie eigentlich zu Ihrem konservativen Kollegen aus Österreich, zu Sebastian Kurz?
Harbarth: Es ist die österreichische Entscheidung, wie sie damit umgehen. Ich vermag nicht abschließend zu beurteilen, ob das in Österreich auf Druck der FPÖ geschehen ist. Die Österreicher mögen für sich entscheiden, was sie für den richtigen Weg halten. Wir sind der Überzeugung, dass der Weg, den wir beschreiten, aus deutscher Sicht der richtige ist.
Um das noch mal zu übersetzen: Sie halten die österreichische Entscheidung für falsch?
Harbarth: Jedes Land möge für sich entscheiden, was aus seiner Perspektive für sein Land richtig ist. Ich vermag im Augenblick nicht zu erkennen, warum aus österreichischer Perspektive der Pakt falsch sein sollte, aber das mögen die Österreicher entscheiden.
Dann gucken wir vielleicht noch mal auf Ihre eigene Fraktion. Ich habe eben schon Jens Spahn zitiert, der ja eine gewisse Skepsis hat durchblicken lassen. Wie sehr brodelt es bei dem Thema insgesamt in Ihrer Fraktion?
Harbarth: Wir merken ja, dass in der Gesellschaft ganz viele Fragezeichen zu diesem globalen Migrationspakt existieren. Die erreichen natürlich auch uns. Wir haben auch bei uns in der Fraktion ein hohes Maß an Verunsicherung festgestellt. Wir haben dieses Thema am vergangenen Dienstag in unserer Fraktionssitzung in ganz großer Ausführlichkeit behandelt. Wenn Sie eine 246köpfige Fraktion sind, dann haben Sie natürlich nie eine Meinung. Das wäre in einer Demokratie auch schlimm. Sie haben aber nach meiner Überzeugung jedenfalls ab Abschluss unserer Fraktionssitzung doch klar sehen können, dass wir eine ganz, ganz klare Mehrheit in der Fraktion haben, die von den Vorteilen des Pakts überzeugt sind und die nun gewillt sind, das auch in großer Deutlichkeit nach außen zu tragen.
Heißt aber auch, es gibt einige, die dagegen stimmen werden, wenn das im Bundestag zur Abstimmung steht?
Harbarth: Das weiß ich nicht. Das möge dann jeder für sich entscheiden, wenn darüber abgestimmt wird. In der Fraktion gab es sehr unterschiedliche Auffassungen, aber es gab am Ende eine, von der ganz klaren Mehrheit getragene Überzeugung, dass dieser Pakt im nationalen Interesse Deutschlands liegt.
Moment, wenn Sie Mehrheit sagen. Es gab aber in der Fraktion keine Abstimmung darüber?
Harbarth: Es gab in der Fraktion keine Abstimmung. Aber Sie merken ja an Beifallsbekundungen, Sie merken an der Zahl der Wortmeldungen immer sehr schnell, wie das Stimmungsbild in einer Fraktion ist. Und ich kann Ihnen nur sagen: Es ist evident, dass die überwältigende Mehrheit unserer Fraktion hinter diesem Pakt steht.