In die Politik muss ein neuer Stil einziehen
Gastbeitrag von Ralph Brinkhaus in der Welt am Sonntag
Eine Gesellschaft braucht einen inneren Zusammenhalt. Davon ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, überzeugt. In einem Gastbeitrag in der Welt am Sonntag macht er deutlich, dass hierfür das Vertrauen der Bürger in die Politik wesentlich sei. Dafür jedoch müsse in der Politik ein neuer Stil einziehen – respektvoll und achtsam. Lesen Sie den Gastbeitrag im Wortlaut:
Wie in jedem Sommer war ich auch in diesem Juli und August in meinem Wahlkreis unterwegs. Bei den Firmenbesuchen und an den Infoständen war die Stimmung gut. In Ostwestfalen ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Die Firmen haben gefüllte Auftragsbücher. Sie suchen Beschäftigte und zahlen anständige Löhne. Aber dennoch war diesmal etwas anders: Wie noch nie zuvor hatte ich das Gefühl, mit einigen Menschen nicht mehr ins Gespräch kommen zu können. Sie wollten nicht reden. Und sie wollten nichts mehr von einem Politiker hören.
Auch andere hatten ähnliche Erlebnisse. Wir wollen nicht übertreiben: Überwiegend schauen die Menschen nach unserem Eindruck zuversichtlich in die Zukunft. Aber die Zeichen mehren sich, dass die Gesellschaft Risse bekommen hat. Bürger fühlen sich nicht respektiert, im Osten vielleicht noch häufiger als im Westen. Sie kapseln sich ab. Dass etwas nicht stimmt, spüren viele. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung haben drei Viertel der Befragten den Eindruck, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet ist.
Man könnte sagen: Alles nicht dramatisch. Soll doch jeder machen, was er möchte. Doch das wäre ein fataler Schluss. Eine Gesellschaft braucht einen inneren Zusammenhalt. Nur wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie bei aller Freiheit annähernd etwas verbindet, kann ein Land stabil sein. Es gibt viele Faktoren, die für den Zusammenhalt wichtig sind. Das Gefühl, dass es gerecht zugeht. Die Anerkennung gemeinsamer Werte. Die allgemeine Durchsetzung des Rechts. Mit am wichtigsten dürfte aber das Vertrauen in die Politik sein.
Dieses Vertrauen ist jedoch erschüttert. Als Abgeordnete spüren wir das ständig in unseren Wahlkreisen. Die Bürger haben ja recht: Die Politik ist zuletzt zu sehr um sich selbst gekreist. Stichworte: die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen. Die Regierungsbildung erst nach einem Machtwort des Bundespräsidenten. Der Streit in der Union über die Asylpolitik. Wir müssen also dringend das Vertrauen zu den Bürgern erneuern. Dazu drei Gedanken.
Erstens: Wir müssen jetzt handeln, handeln und nochmals handeln. Die Bürger müssen spüren, dass sich Politik wirklich um sie dreht und dass wir ihr Leben Stück für Stück besser machen wollen. Vom Juni 2017 bis zu diesem März herrschte im Bundestag praktisch Stillstand in der Gesetzgebung. Auch danach ist die Koalition schwer in Tritt gekommen.
Diesen Herbst werden wir jedoch zu einem Herbst der Beschlüsse machen. Mit den beschlossenen Verbesserungen in der Rente, in der Pflege und für Familien haben in diesen Tagen den Anfang gemacht. Auch das Asylrecht wurde korrigiert. So muss es weitergehen – auch in den Wochen bis zum CDU-Parteitag. Es wird sich viel um die Kandidaten für den Vorsitz drehen. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir im Tempo der Gesetzgebung nachlassen.
Zweitens muss sich die Politik um die Zukunft kümmern. Auch das schafft Vertrauen. Beispiel: Wir wollen einerseits die künstliche Intelligenz fördern. Aber wir müssen uns genauso darum kümmern, dass die Menschen hier mitgenommen werden. In unserer Fraktion haben wir gerade ein Projekt gestartet, um die lebenslange Weiterbildung zu forcieren, die viele Menschen in den nächsten Jahrzehnten brauchen werden, um mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten.
Und drittens: In die Politik muss ein neuer Stil einziehen. Ja, das ist gerade in Zeiten eines wachsenden Populismus schwierig. Aber man bekämpft nicht Populisten mit den Methoden von Populisten. Generell sollten wir in der Politik respektvoller und achtsamer miteinander umgehen. Jeder sollte der Versuchung widerstehen, sich moralisch zu überhöhen. Das wäre ein Vorbild für die Gesellschaft, in der gerade die Pole auseinanderstreben.
Wenn es um den Zusammenhalt geht, muss der Staat vor allem auch für Vertrauen in den Rechtsstaat sorgen. Das bedeutet Schutz vor Kriminalität und Terror. Man kann noch so viel über den Rückgang der statistisch erfassten Kriminalität philosophieren. Wenn die Menschen sich unsicher fühlen, darf der Staat das nicht abtun, sondern muss handeln.
Ein Pakt für den Rechtsstaat
Das Recht darf nicht nur auf dem Blatt stehen. Nur wenn das Recht durchgängig durchgesetzt wird, wird es seine befriedende Funktion behalten. Recht darf nicht beliebig sein. Die Steuern müssen von Unternehmen genauso eingetrieben werden wie von normalen Beschäftigten. Der Angriff auf die Person im Internet muss geahndet werden. Auch das Ausländerrecht muss konsequent vollzogen werden, weil ansonsten die Integration scheitern wird. Wir brauchen dazu eine starke Justiz und Polizei, aber auch generell eine starke Verwaltung. Der Pakt für den Rechtsstaat ist für mich eines der zentralen Vorhaben des Koalitionsvertrags.
Wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist auch die Leistungsgerechtigkeit. Es untergräbt den Zusammenhalt der Gesellschaft, wenn Arbeitnehmer mitansehen müssen, dass Fehlverhalten in den Führungsetagen keine Folgen hat. Noch schlimmer ist es, wenn das im Zuständigkeitsbereich des Staates geschieht, wenn dort Fehler gar zu Beförderungen führen.
Ein Gemeinwesen muss ferner jedem die Chance auf Weiterentwicklung und Aufstieg haben. Dass die Bildungschancen immer noch so sehr vom Elternhaus abhängen, ist unhaltbar. Ebenso ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass das Leben auf dem Land genauso lebenswert ist wie in der Stadt. Die Zukunft der ländlichen Räume ist für das Klima in einer Gesellschaft wichtiger als vielfach angenommen wird.
Auch wenn wir uns all diesen Zielen für einen besseren Zusammenhalt nähern, bliebe immer noch eine große Leerstelle. Die Bindungen an traditionelle Institutionen wie Kirchen oder Gewerkschaften nehmen ab, nicht aber die Suche nach Halt und Orientierung. Kein Wunder: Der technologische Fortschritt rast. In der Medizin verschieben sich die Grenzen für Leben und Tod. Die Biotechnologie hat den Menschen zum Schöpfer der Natur gemacht. Die künstliche Intelligenz wird in vielen Bereichen Menschen ersetzen. Das verursacht Sorgen und wirft tiefe ethische Fragen auf. Kurz: Um Antworten auf diese Entwicklungen zu geben, müssen wir über Werte reden.
Für meine Partei bietet das christliche Menschenbild hier Orientierung. Seine Kernaussage ist und bleibt eine großartige Richtschnur: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes und damit mit einer unveräußerlichen Würde ausgestattet. Der Mensch soll sein Leben in Freiheit leben können. Er soll diese Freiheit in Solidarität mit seinen Mitmenschen ausüben. Das christliche Menschenbild schützt das Individuum, es fordert die Menschen aber gleichzeitig zum Zusammenstehen auf, zu einer Abkehr von einem radikalen Individualismus.
Auch in der Union sollten wir uns wieder mehr auf diesen Kompass besinnen, anstatt Debatten zu führen, die in einem Rechts-links-Mitte-Schema verlaufen. Wir sollten das „C“ neu verorten.
Auch die Bürger tragen Verantwortung
Die Entwicklungen in den USA müssen uns bei all dem eine Warnung sein. Das Land ist gespalten, wie die Wahlen in dieser Woche gezeigt haben. Das ist keine gute Voraussetzung für die Zukunft. Die Bürger eines Landes dürfen sich nicht in Feindschaft gegenüberstehen, bei allen Unterschieden in weltanschaulichen Fragen. Vernünftige Politik muss alles versuchen zu verbinden. Die Bürger müssen der Mittelpunkt sein und nicht das Machtkalkül.
Ein abschließender Gedanke: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, ist Aufgabe der Politik. Aber auch die Bürger haben eine Verantwortung. Wie eine Gesellschaft aussieht, ist auch die Summe des Verhaltens seiner Bürger. Wir alle müssen für den Zusammenhalt einstehen. Es geht um unser Land und unsere Zukunft.