"Am gemeinsamen Europa mitbauen"
Im Gespräch mit dem Weser Kurier spricht Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus über die Weiterentwicklung Europas, warum mehr in Entwicklungshilfe und Sicherheit investiert werden muss und wieso Steuererhöhungen der falsche Weg wären. Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Weser Kurier: Herr Brinkhaus, Sie waren vor Ihrer politischen Karriere Steuerberater. Finden Sie unser Steuersystem gerecht?
Ralph Brinkhaus: Im Großen und Ganzen ist das schon in Ordnung. Es ist nur sehr kompliziert geworden. Das heißt aber nicht, dass es ungerecht ist. Wir schaffen aber zu viele Ausnahmetatbestände. Das macht alles noch ein bisschen komplizierter. Es bleibt daher eine Daueraufgabe, dafür zu sorgen, dass das Steuersystem weniger komplex wird.
Sie haben sich jetzt in der "Welt am Sonntag" gegen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgesprochen. Wieso?
Wir haben zwei Grundlinien, auch angesichts der momentanen Haushaltssituation: Wir wollen erstens keine höheren Steuern, weil wir glauben, dass die Steuerbelastung für die Menschen in diesem Land hoch genug ist. Der Spitzensteuersatz betrifft ja im Übrigen nicht nur Einkommensmillionäre, sondern auch viele Mittelständler. Das Zweite ist, dass wir keine Schulden machen wollen. In den letzten Jahren sind viele Ausgaben dazugekommen. Deswegen habe ich gefordert: Wir brauchen eine Generalüberprüfung unseres Haushaltes – ein Projekt Haushalt 2030. Es muss grundsätzlich darüber nachgedacht werden, was wirklich wichtig ist und wo unsere Prioritäten liegen.
Mehr in Entwicklungshilfe und Sicherheit investieren
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat ja die schwarze Null auch zu seinem Anliegen gemacht. Er sagt, sie ist in dieser Legislaturperiode nur zu verteidigen, wenn der Bund kräftig spart, vor allem bei Verteidigung, Entwicklungshilfe und Personal. Wie sehen Sie das und wie sehen das die Haushälter in Ihrer Fraktion?
Wir haben aus gutem Grund gesagt, dass wir im Bereich äußere Sicherheit, aber auch Entwicklungshilfe mehr investieren müssen. Das Thema Entwicklungshilfe ist mitentscheidend. Wenn wir nicht dazu beitragen, den Menschen insbesondere in Afrika Entwicklungsperspektiven zu geben, dann werden sie sich auf den Weg zu uns machen. Beim Personal muss man schauen: Wie hat sich die Situation in den Ministerien und in der Verwaltung entwickelt? Wenn es um Sicherheit, also um Polizistinnen und Polizisten oder den Justizbereich geht, werden wir nicht sparen. Da wollen wir im Gegenteil mehr Personal.
Während dieser Diskussion präsentiert der Arbeitsminister Hubertus Heil ein steuerfinanziertes Grundrentenmodell für Geringverdiener. In der Union gehen die Meinungen dazu offenbar auseinander…
Nicht wirklich. Wir haben ein Konzept für die Grundrente im Koalitionsvertrag stehen. Hubertus Heil geht nun über diese Vereinbarungen hinaus. Wir wollen jetzt aber erst einmal über das Grundrenten-Konzept aus dem Koalitionsvertrag sprechen. Es ist im Übrigen nicht ungewöhnlich, dass ein Partner in einer Koalition etwas vorschlägt, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Insofern würde ich aus dieser Geschichte den Alarmismus herausnehmen.
Beim Thema Grundrente das "Richtige tun"
Wie könnte ein Deal aussehen? Sie besteuern weiter die oberen zehn Prozent mit dem Soli und die SPD lässt eine Bedürftigkeitsprüfung für die Grundrente zu?
Es geht nicht um einen Deal, sondern darum, dass wir das Richtige tun. Darüber werden wir mit der SPD reden. Aber die schwarze Null muss in jedem Fall stehen.
Okay. Dann passt da relativ wenig zwischen Sie und Olaf Scholz.
Erstaunlicherweise. (lacht) Wir verstehen uns bisher auch ganz gut.
Nächste Woche will Ihre Partei die Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 in Werkstattgesprächen aufarbeiten. Wieso ist das Ihrer Meinung nach wichtig?
Es geht nicht nur darum zu bewerten, was im Jahr 2015 falsch und richtig gelaufen ist. Sondern es geht darum, zu schauen, was wir besser machen können. Wir haben im Bereich Migrationspolitik immer noch keinen ausbalancierten Zustand. Deswegen ist es richtig, dass die Partei sich jetzt damit beschäftigt.
Was meinen Sie mit ausbalanciertem Zustand?
Es beginnt mit der Situation in den Herkunftsländern, geht über die europäische Grenzsicherung weiter, die noch zu schwach ist. Es kehren zu wenig abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer zurück. Auf der anderen Seite ist es nicht zu ertragen, dass nach wie vor Migranten im Mittelmeer ertrinken.
Was müsste denn Ihrer Meinung nach passieren? Sie haben schon die im Mittelmeer sterbenden Menschen angesprochen. Was sollte dagegen getan werden?
Es gibt nicht den großen grünen Knopf, auf den man drücken könnte. Das sind ganz viele Sachen, die wir auf den Weg bringen müssen. Wir müssen dazu beitragen, den Menschen in den Herkunfts- und Transitländern eine Entwicklungsperspektive bieten. Wir müssen mithelfen, dass in den Flüchtlingscamps eine vernünftige Versorgung mit Medizin, Nahrungsmitteln und Bildung vorhanden ist. Und es geht darum, dass wir noch klarere Regeln aufstellen, wer nach Deutschland kommen kann und wer nicht. Deswegen machen wir auch das Fachkräftezuwanderungsgesetz.
Bei der Flüchtlingsthematik hat man in den vergangenen Jahren heftige Konflikte in der Union beobachtet. Täuscht der Eindruck, dass das Klima zwischen den Schwesterparteien sich beruhigt oder sogar verbessert hat?
Neue Personen haben immer den Vorteil, dass sie keine Geschichte als Rucksack mit sich herumschleppen. Dementsprechend ist das mit Markus Söder und Annegret Kramp-Karrenbauer ein guter neuer Anfang. Und auch als Fraktionsvorsitzender verstehe ich mich sehr gut mit Alexander Dobrindt und Markus Söder. Wir kommunizieren viel miteinander. Wir wissen, dass wir nur gemeinsam stark sind.
Nun gehört zur Regierung noch eine dritte Partei, der es momentan nicht so gut geht. Die SPD schwächelt in den Umfragen und trägt ihre Führungsprobleme auf offener Bühne aus. Für den Vorsitzenden der Unionsfraktion: Ist das eher Fluch oder Segen?
Wir wollen immer viel stärker aus den Wahlen hervorgehen als die SPD. Aber eine schwache SPD ist auch nicht gut für die politische Stabilität in unserem Land. In Bremen ist es jetzt trotzdem höchste Zeit für einen Regierungswechsel.
Wie ist denn ihr persönliches Verhältnis zu Andrea Nahles?
Kurzer, unkomplizierter Dienstweg. Wir haben unsere Büros nah beieinander, wir telefonieren und sprechen miteinander. Alles gut.
Von außen hat man manchmal den Eindruck, dass sie sich als verhinderte Oppositionsführerin geriert. Empfinden Sie das nicht so?
Ich erlebe, wie sie immer wieder versucht, einen Kompromiss hinzukriegen. Und das ist sehr verantwortungsvoll.
Europa ist ein gemeinsames Friedens- und Wirtschaftsprojekt.
Im Mai sind Europawahlen. Sie haben gefordert, dass sich der Bundestag mehr einbringt in EU-Entscheidungen und stärker sein Recht nutzt, diese zu beeinflussen. Auf welche Felder beziehen Sie Ihre Forderung?
Auf ganz viele. Es ist ein großer Fehler, dass in den Diskussionen in den vergangenen Jahren fast ausschließlich die Finanzpolitiker wahrgenommen wurden. Es wurde viel darüber diskutiert, wer was zahlt und an wen. Wir würden uns freuen, wenn wir über andere Sachen reden könnten. Europa war ja nie als Finanzprojekt gedacht, sondern hat unendlich viele Facetten als gemeinsames Friedens- und Wirtschaftsprojekt.
Können Sie sich gemeinsame Rüstungsexporte vorstellen?
Wir brauchen gemeinsame europäische Regeln für Rüstungsexporte und gegebenenfalls eine europäische Institution, die darüber wacht. Aber was noch viel wichtiger ist, dass die Soldaten auch zusammenarbeiten. Das funktioniert in Teilen schon. Ich könnte mir vorstellen, dass wir am Ende des Prozesses irgendwann eine Armee der Europäer haben.
Sie wollen Ihre Forderung nach mehr Einmischung des Bundestags also nicht so verstanden wissen, dass weniger Kompetenzen an die EU abgegeben werden sollten?
Im Gegenteil: Wir wollen als Bundestag am gemeinsamen Europa mitbauen. Es geht darum, dass wir gute Ideen haben, was wir gemeinsam machen können. Auf der anderen Seite sehen wir das Subsidiaritätsprinzip, dass wir bestimmte Sachen besser in Deutschland entscheiden sollten.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir sind nicht der Meinung, dass wir eine europäische Arbeitslosenversicherung brauchen.
Stichwort Subsidiaritätsprinzip. Einen ähnlichen Streit gibt es auch um den Digitalpakt. Sollten die Bundesländer Kompetenzen abgeben?
Es geht dabei weniger um Kompetenzen, sondern darum sicherzustellen, dass Bundesmittel tatsächlich ankommen. Damit die Länder nicht selbst plötzlich weniger Geld in Schulen investieren, sondern dass mit dem Geld aus dem Digitalpakt ein Mehrwert geschaffen wird. Das muss mit den Ländern verhandelt werden. Deshalb tagt jetzt der Vermittlungsausschuss.
Hat ein kleines und hoch verschuldetes Bundesland wie Bremen langfristig eine Chance, seine Selbstständigkeit zu wahren?
Ja, hat es. Und zwar durch intelligentes Kooperieren mit anderen Bundesländern. Die Größe eines Bundeslandes ist nicht der Maßstab, sondern wie man kooperiert. Das wird ja auch teilweise schon gemacht mit Niedersachsen. Nicht jedes Bundesland muss immer alles alleine machen.
Wir hatten kürzlich eine große Diskussion um die Eiswette in Bremen, die unsere Bürgermeisterin aufgrund ihres Geschlechts nicht einladen wollte. In der Unionsfraktion ist der Frauenanteil mit etwa 20 Prozent Frauen ziemlich gering. Wie kann sich das ändern?
Stimmt, das muss sich in unserer Fraktion ändern. Dass wir nur 20 Prozent Frauen haben, liegt daran, dass wir in der Partei zu wenige Frauen in den Direktwahlkreisen aufgestellt haben. Da liegt der Schlüssel.
Was halten Sie von dem Vorschlag, die Wahlkreise zu vergrößern und jeweils eine Frau und einen Mann direkt zu wählen?
Das ist ein Vorschlag, der wohl nicht ganz verfassungskonform ist. Es ist Aufgabe der Parteien, mehr Frauen aufzustellen. Es wird mittelfristig so sein, dass Parteien, die das nicht schaffen, nicht vom Gesetz, sondern von Wählerinnen und Wählern abgestraft werden. Das ist der Mechanismus, wie es funktionieren wird.
Interview mit dem Weser Kurier | Fragen von Joerg Helge Wagner, Carolin Henkenberens und Jonas Mielke | Online hier abrufbar