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Friedrich Merz

Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Sicherheitspolitisches Gespräch am 4. Dezember 2024 mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz

Lektorierte Fassung

Rede des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, zu aktuellen Fragen deutscher und europäischer Sicherheit und Verteidigung.

„Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! 

Zunächst sehr herzlichen Dank für die freundliche Einladung und die Begrüßung hier in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Ich freue mich, heute Abend mit Ihnen einige Gedanken austauschen zu können zu den zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen unseres Landes und unserer Zeit. Ich habe überlegt, ob ich eine Art klassische Rede zur Sicherheitspolitik halten soll, mit all den bekannten Stichworten: zum Aufstieg Chinas, zu den Gefahren für die liberale internationale Ordnung, zur hybriden Kriegsführung, zur fragilen Staatlichkeit und zu vielen anderen Themen mehr. 

Aber ich habe Ihre Einladung so verstanden, dass Sie von mir nicht den üblichen Gang durch die Probleme und die Beschreibung dieser Probleme hören wollen, die Sie im Zweifel mindestens genauso gut kennen wie ich. Sie möchten erfahren, so habe ich es verstanden, wofür wir als Union stehen in der Außen- und Sicherheitspolitik und was Sie von einer nun schneller als erwartet zu bildenden, neuen Bundesregierung, möglicherweise unter unserer Führung, erwarten dürfen. 

Um sich dieser Frage zu nähern, meine Damen und Herren, würde ich gerne zunächst unseren Blick darauf richten, in welcher sicherheitspolitischen Tradition die CDU steht. Und wenn wir diesen Blick auf die Jahre seit 1949 richten, dann würde ich für meine Partei gern beanspruchen, dass wir – jedenfalls aus der Rückschau – an den entscheidenden Wegmarken unserer Sicherheitspolitik auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden haben. Dazu gehört der Beitritt zum Nordatlantikpakt, der bis heute das Rückgrat unserer Sicherheit in Europa bildet. Dazu gehört die Wiederbewaffnung der Bundeswehr als Beitrag zu einer glaubhaften Abschreckung im Kalten Krieg. Dazu gehört die Aussöhnung mit dem Staat Israel, versinnbildlicht durch das Treffen von Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Ministerpräsident Ben Gurion im New Yorker Waldorf Astoria Hotel am 14. März 1960. Dazu gehört die Aussöhnung mit Frankreich, versinnbildlicht durch den gemeinsamen Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle in der Kathedrale von Reims am 8. Juli 1962 – ein geradezu ikonisches Bild, von dem ich eine Kopie auf meinem Schreibtisch im Konrad-Adenauer-Haus stehen habe. Dazu zählt der NATO-Doppelbeschluss im Jahr 1982, mit dem damals der Gefahr der atomar bestückten russischen Mittelstreckenraketen begegnet werden sollte. Nicht zuletzt zählt dazu die Wiedervereinigung unseres Landes auf der Grundlage des Zwei-plus-Vier-Vertrages und der Charta von Paris. Alle diese Richtungsentscheidungen wirken aus heutiger Sicht fast schon selbstverständlich. Aber jede einzelne von ihnen war in ihrer Zeit hoch umstritten. 
Ich will nicht nur an die großen Demonstrationen im Bonner Hofgarten im Jahr 1982 erinnern, sondern auch an die noch größeren Demonstrationen im Ruhrgebiet in den 50er Jahren, die sich gegen den NATO-Beitritt und gegen die Aufstellung der Bundeswehr – beides 1955 – richteten, angeführt vom damaligen Parteivorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer. 

Meine Damen und Herren, ich will diese Aufzählung nicht als Selbstlob verstanden wissen. Ich will vielmehr unterstreichen, dass meine Partei sich in der Geschichte unseres Landes immer verantwortlich gefühlt hat – in den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik allgemein, aber besonders in der Frage, wie wir den Frieden und die Freiheit in dem Teil Europas sichern können, in dem wir das unglaubliche Glück haben, leben zu dürfen, jedenfalls im Westen des Landes seit 75 Jahren und im gesamten wiedervereinigten Deutschland seit fast 35 Jahren.
Wir wissen, dass in der Zeit, in der wir leben, wieder sicherheitspolitische Richtungsentscheidungen anstehen. Nämlich vor allem in der Frage, wie denn der Friede in Europa wiederhergestellt werden und wie er für uns, für Deutschland, auf Dauer bewahrt werden kann. 

Seit mehr als 1.000 Tagen tobt der Krieg in der Ukraine, dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg des größten europäischen Landes gegen das zweitgrößte europäische Land. Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal klarstellen: Von einem früheren Parteivorsitzenden der AfD ist das Wort überliefert: „Das ist nicht unser Krieg.“ Nein, meine Damen und Herren, es ist nicht unser Krieg. Es ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der sich aber auch gegen uns richtet, gegen unsere Freiheit, gegen uns als Wertegemeinschaft, gegen uns als westliche Demokratien. 
Dieser Angriffskrieg auf europäischem Boden missachtet das ganze Regelwerk internationaler Vereinbarungen und Verträge. Ich nenne hier nicht nur die Charta der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1945, sondern ausdrücklich auch die Charta von Paris aus dem Jahre 1990 und das Budapester Memorandum von 1994 – Regeln, die wir uns noch mit der Sowjetunion, später dann mit Russland gegeben haben.

Was wir jetzt erleben, ist nicht nur eine Zeitenwende. Dies ist, wie der Bundespräsident es richtig gesagt hat, ein Epochenbruch. Wir alle sind Zeitzeugen einer geradezu tektonischen Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtzentren auf der Welt. Und auch diese Bemerkung mögen Sie mir erlauben: Wir haben uns vermutlich alle über den Charakter dieses Krieges geirrt, der im Grunde vor zehn Jahren mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Überfall auf den Donbass begann. 

Wir müssen jedenfalls heute einräumen, dass wir uns geirrt haben. Aber ich möchte nicht, dass wir uns in zehn Jahren erneut eingestehen müssen, uns schon wieder geirrt zu haben. Das würde uns sehr viel teurer zu stehen kommen als der erste Irrtum. 

Der Ukraine-Krieg ist also ein Krieg, der auch uns in Deutschland betrifft. Russland droht uns offen. Es hat die Grundsätze eines friedlichen Zusammenlebens auf unserem Kontinent schlicht aufgekündigt. Lassen Sie mich deshalb einmal kurz ausführen, was aus meiner Sicht, was aus unserer Sicht für die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland daraus folgt. 

Meine erste Feststellung ist, und sie muss in diesen Tagen vielleicht besonders unterstrichen werden: Wir alle wollen den Frieden. Ich kenne jedenfalls niemanden, der diese Aussage nicht teilt. In Deutschland ist es nicht strittig, dass wir Frieden wollen. Unsere politische Auseinandersetzung dreht sich um zwei ganz andere Fragen. Erstens: Was für einen Frieden wollen wir? Und zweitens: Was müssen wir dafür tun, um diesen Frieden auf Dauer zu bewahren? Lassen Sie mich mit der ersten Frage beginnen. Was für einen Frieden wollen wir? Der Frieden, den wir anstreben, ist ein Frieden in Sicherheit und in Freiheit.

Wir wollen keinen Frieden um den Preis einer Unterwerfung unter eine imperialistische Macht. Wir wollen keinen Frieden auf Kosten unserer Freiheit. Nein, wir wollen einen Frieden in Freiheit und Sicherheit, der es uns ermöglicht, unsere Art des Lebens, unsere Demokratie, unsere liberale Gesellschaft, unseren European Way of Life fortzuführen. Und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern aus meiner Sicht auch für die Ukraine. 

Sehr geehrter Herr Botschafter Makejew, ich denke, auch hier sind wir uns einig. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wollen keinen Frieden zu den Bedingungen einer imperialistischen Macht. Sie wollen einen Frieden, den sie selbst bestimmen, den sie sich erringen und den sie auf Dauer verteidigen. 

Lassen Sie mich auf die zweite Frage eingehen. Was müssen wir dafür tun, um diesen Frieden in Deutschland und in ganz Europa zu bewahren und auch für die Ukraine zu erreichen? Die wichtigste Antwort aus meiner Sicht lautet: Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen. 

Meine Damen und Herren, das ist aus meiner Sicht jedenfalls eine der ganz wenigen Lehren aus der jüngeren europäischen Geschichte, die sich ohne Weiteres auf die Gegenwart übertragen lässt. Stärke schreckt Aggressoren ab, Schwäche lädt Aggressoren ein. Ich will, dass Deutschland und Europa stark sind, mit starken Streitkräften, mit starker Zivilverteidigung und mit einer resilienten Infrastruktur. Für die Ukraine lautet nach meiner Einschätzung die wichtigste Antwort: Sie muss den Krieg gewinnen und Russland muss den Krieg verlieren. 

Meine Damen und Herren, auch hierzu einige erläuternde Anmerkungen. Die Behauptung, dass Atommächte in unserer Zeit Kriege nicht verlieren können, ist nachweislich falsch. Die Sowjetunion als Atommacht hat den Krieg in Afghanistan verloren. Amerika als Atommacht hat die Kriege in Vietnam und in Afghanistan verloren. Es ist also kein Naturgesetz, dass Atommächte jeden Krieg, den sie beginnen, automatisch gewinnen. 

Die strategischen Ziele, die ich Ihnen eben benannt habe, sind vielleicht erklärungsbedürftig. Was heißt es, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss? Gewinnen heißt für mich die Wiederherstellung der territorialen Integrität mit einer in Ausübung eigener staatlicher Souveränität demokratisch legitimierten Regierung im eigenen Land. Gewinnen heißt auch, dass die Ukraine die vollständige Freiheit zur Wahl ihrer politischen und gegebenenfalls auch militärischen Bündnisse haben muss. So wurde es ihr übrigens in der Charta von Paris 1990 und im Budapester Memorandum 1994 zugesichert.  

Dazu vielleicht ein kurzer Rückblick auf dieses Jahr 1994. Denn was die wenigsten in unserem Lande wissen, ist, dass zu diesem Zeitpunkt, also vor genau 30 Jahren, die Ukraine – nach Amerika und Russland – das atomar am höchsten gerüstete Land der Welt war. Die Ukraine stand an dritter Stelle und hat doch abgerüstet – gemäß einer Vereinbarung mit Russland. Die Vereinbarung verpflichtete sie, alle atomaren Waffen und Sprengköpfe an Russland abzugeben, sofern sie nicht vernichtet wurden. 

Zurück zu den strategischen Zielen: Verlieren heißt für Russland, dass das eintritt, was Historiker wie Herfried Münkler und andere uns seit vielen Monaten, wenn nicht sogar seit Beginn dieses Krieges, immer wieder sagen: Russland darf für sich keine Chancen mehr sehen, diesen Krieg erfolgreich militärisch fortzusetzen.

Das setzt voraus, dass die Ukraine stark genug ist, sich gegen diese russische Aggression wirksam zu verteidigen. Und, meine Damen und Herren, so klar dies ist, so klar muss es auch bleiben: Deutschland darf bei alledem nicht Kriegspartei werden. Diese Frage steht nicht zur Debatte. Wir wollen es nicht und wir werden es auch nicht. Aber gerade deswegen müssen wir die Ukraine mit allen erforderlichen diplomatischen, finanziellen, humanitären und eben auch militärischen Mitteln unterstützen, die sie zur Ausübung ihres Selbstverteidigungsrechtes und zur Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität benötigt. 

Ich persönlich bin genau aus diesem Grund der festen Überzeugung, der einzig richtige Weg zu Frieden in Freiheit und Sicherheit in der Ukraine ist unsere konsequente Unterstützung. Wir müssen jede Unklarheit über den Weg, den wir gemeinsam gehen wollen, vermeiden. 

Ich finde, wir in Deutschland müssen uns auch selbst Rechenschaft darüber ablegen, was wir seit Beginn dieses Krieges getan und was wir unterlassen haben. Sicher ist es für ein endgültiges Urteil zu früh, aber als Zwischenfazit zwei Beobachtungen: 

Die erste Beobachtung ist, dass wir mit einigem ziemlich lange gezögert haben. Manche Entscheidungen hat die Bundesregierung erst getroffen, nachdem sie sie Monate lang als eine unzulässige Eskalation abgelehnt hatte. 
Zweite Beobachtung: Unabgestimmte Alleingänge schwächen unsere Position gegenüber Russland. Auf die sogenannte Friedensmission des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban reagierte Moskau wenige Tage später mit der Bombardierung eines Kinderkrankenhauses in Kiew. Und auf ein mit den europäischen Partnern offensichtlich unabgestimmtes Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte Wladimir Putin mit groß angelegten Angriffen auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine.

Diese Alleingänge haben zu einer Verschlechterung unserer strategischen Lage geführt. Ich werbe deshalb für die Einrichtung einer Kontaktgruppe aus Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien, für eine gemeinsame europäische Strategie zur Unterstützung der Ukraine – mit dem Ziel der Beendigung dieses Krieges. Ich werbe deshalb jetzt dafür, dies zu tun, weil niemand von uns weiß, was nach dem 20. Januar 2025 geschieht. Dass etwas geschehen wird nach diesem 20. Januar 2025 scheint mir sehr klar zu sein, aber darauf sind wir offensichtlich nicht vorbereitet. 

Ich darf Ihnen jedenfalls versichern, dass ich schon jetzt – vor einer weiteren Reise in die Ukraine, die in den nächsten Tagen ansteht – die genannten europäischen Partner informieren werde. Auch nach der Reise werde ich sie informieren, damit sie von den Ergebnissen nicht aus den Medien erfahren werden. 

Ich will unseren Blick, meine Damen und Herren, nun über Russland hinaus weiten. Denn Moskau agiert bei alledem ja nicht allein. In den vergangenen Jahren hat sich eine Achse der Autokratien herausgebildet, die den Einfluss des „politischen Westens“ – nicht geografisch, sondern normativ verstanden – systematisch zurückdrängen will. Diese Achse der Autokratien reicht von China über Nordkorea bis in den Iran und eben bis nach Russland. China entwickelt sich mehr und mehr zum Systemrivalen. Es agiert immer weniger als unser Partner und Wettbewerber. China macht mit zunehmender Repression nach innen und immer größer werdender Aggression nach außen deutlich, dass es sich von niemandem etwas vorschreiben lässt. So will es zum Beispiel eine „Wiedervereinigung“, wie Peking es nennt, mit Taiwan im Zweifelsfall auch militärisch durchsetzen.

Wir befinden uns also in einer Ära der Systemkonkurrenz, in der liberale Demokratien ihre Leistungs- und Überlebensfähigkeit neu unter Beweis stellen müssen. Der Zusammenhalt des politischen Westens, meine Damen und Herren, ist hierfür aus meiner Sicht zentral. Und deshalb will ich folgenden Punkt abschließend unterstreichen. 

Die USA waren, sind und bleiben der wichtigste Verbündete Deutschlands außerhalb Europas. Ich bin froh, dass die stärkste Militärmacht der Welt eine Demokratie ist und nicht eine Autokratie. Ich werbe dafür, dass wir nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf diesen 20. Januar 2025 blicken. Denn es liegt auch ganz entscheidend an uns, an uns Europäern, wie wir die künftigen Beziehungen zu Amerika gestalten. 

Dem Plan des neuen Präsidenten Donald Trump zur Erhebung von Importzöllen beispielsweise sollten wir den Vorschlag eines neuen Anlaufs für ein transatlantisches Freihandelsabkommen entgegensetzen. Auch hier in Klammern hinzugefügt: Hätten wir heute einmal TTIP – das Freihandelsabkommen, das 2016 gescheitert ist –, dann wäre manches leichter mit den Vereinigten Staaten von Amerika. 

Die Forderung aus den USA, dass Europa in seiner eigenen Nachbarschaft mehr Sicherheitsverantwortung übernehmen muss, sollten wir nicht mit Misstrauen begegnen, sondern wir sollten sie mit kühlem Kopf und mit Blick auf unsere eigenen strategischen Interessen bewerten. 

Leider, und dies füge ich mit wirklichem Bedauern hinzu, ist Deutschland auf all diese Aufgaben nicht ausreichend vorbereitet. Wir haben uns von einer Gestaltungsmacht zu einer blockierenden Macht entwickelt. In Brüssel treten wir unentschlossen auf, wir zögern und zaudern – was in zahlreichen Enthaltungen bei Ratsentscheidungen, dem sogenannten German Vote, seinen Niederschlag findet. Bei der Unterstützung der Ukraine agieren wir nicht strategisch und nicht entschieden. Vor allem aber stimmen wir uns nicht genug mit unseren Partnern ab.

Ich möchte deshalb gemeinsam mit all denen, die guten Willens sind, erreichen, dass Deutschland von einer schlafenden Mittelmacht zu einer führenden Mittelmacht wird. Dazu zählt – in einem ersten Schritt –, gemeinsam mit unseren wichtigsten Verbündeten wieder zu einer einheitlichen Beurteilung der Lage zu kommen. Daraus müssen wir dann ein gemeinsames Handeln ableiten, wenn wir glaubwürdig Einfluss auf die Entwicklungen nehmen wollen. 

Ich werbe daher sehr dafür, dass das Weimarer Dreieck wieder der Motor für eine koordinierte und integrierte Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und Polens wird. Ein starkes, selbstbewusstes und verteidigungsbereites Europa ist auch für die USA von strategischem Interesse. Es ist gut, dass wir mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas eine starke Persönlichkeit mit einer starken Stimme und mit einer sehr klaren Vorstellung von den Interessen der Europäischen Union an der Spitze der europäischen Diplomatie sehen. 

Um wieder ein verlässlicher Partner zu sein, meine Damen und Herren, muss Deutschland in der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Europapolitik auch selbst kohärent handeln. Dazu wollen wir – und die Beschlusslage meiner Partei kennen Sie vermutlich – den Bundessicherheitsrat zu einem Nationalen Sicherheitsrat weiterentwickeln. Angesiedelt sein soll er im Bundeskanzleramt. Nur dort gehört er hin. Er soll die wesentlichen Fragen der deutschen Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Europapolitik koordinieren. Er soll Strategien entwickeln und strategische Vorausschauen leisten. In Krisenlagen soll er das Gremium der kollektiven politischen Willensbildung der Bundesregierung sein. 

Ich füge hinzu: Auch die Länder, vielleicht sogar die Gemeinden müssen einbezogen werden in einen solchen Nationalen Sicherheitsrat. Denn in einem föderal aufgebauten Staat mit Zuständigkeiten, die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt sind, kann dies der Bund allein nicht leisten. 

Wir sollten dem Nationalen Sicherheitsrat auch die Federführung für die Erstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie übertragen. Ich will jedenfalls im ersten Jahr einer unionsgeführten Bundesregierung eine neue Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen, die den Herausforderungen unserer Zeit wirklich Rechnung trägt. 
Und schließlich: Wir werden als Partner in der NATO und in der Europäischen Union nur dann als glaubwürdig wahrgenommen werden, wenn wir unsere bestehenden Verpflichtungen wirklich erfüllen. Von dieser Stelle aus möchte ich deshalb noch einmal unterstreichen: Wir verstehen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze und nicht als Obergrenze. Über den Umfang des Verteidigungsetats muss Klarheit herrschen, denn Truppe und Verteidigungsindustrie brauchen Planungssicherheit. 

Letztlich tragen wir Politiker die Verantwortung dafür, dass unsere Bundeswehr personell und materiell so ausgestattet ist, dass sie ihren Auftrag erfüllen kann. Sie soll sich nicht weiter in der Verwaltung des Mangels üben müssen. Ich bin in den letzten Wochen und Monaten einige Male bei der Bundeswehr zu Besuch gewesen, um mir vor Ort persönlich ein Bild von der Situation der Truppe zu machen. 

Ich will es einmal so sagen: Wir können als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wirklich stolz sein auf die Frauen und Männer, die in Uniform ihren Dienst absolvieren und ihren Beitrag leisten zur Sicherung des Friedens in Freiheit. Es ist unser Anspruch und auch mein ganz persönlicher, die Bundeswehr materiell und personell so auszustatten, dass sie wieder zu einer der besten Armeen im europäischen und transatlantischen Bündnis wird. Und je stärker die Bundeswehr wird, desto besser können wir unseren Frieden in Freiheit und in Sicherheit bewahren.

Meine Damen und Herren! Meine letzte Bemerkung: Wir feiern in diesem Jahr 75 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidungen, die wir damals und im Laufe der Jahre politisch getroffen haben in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, in der Verteidigungspolitik unseres Landes, waren nachweislich richtig – historisch und empirisch gesehen. Mit diesen Entscheidungen haben wir die Grundlage dafür gelegt, dass wir über eine so lange Zeit in Frieden und in Freiheit leben konnten. 

Das nächste größere Jubiläum wird vermutlich der hundertste Geburtstag unseres Grundgesetzes sein. Täuschen wir uns nicht: Vor uns liegen möglicherweise ähnlich große, vielleicht sogar größere Herausforderungen als diejenigen sie vorgefunden haben, die nach den Verheerungen zweier Weltkriege sich im Jahre 1949 auf den Weg gemacht haben, unser Grundgesetz mit Leben zu füllen – wenn wir den Frieden, die Freiheit und unsere offene Gesellschaft bewahren wollen.

Eines fernen Tages werden wir als Politikerinnen und Politiker unseres Landes nicht daran gemessen, ob wir tagespolitische Debatten im Deutschen Bundestag gewonnen oder verloren haben. Wir werden daran gemessen werden, ob wir diesem Anspruch gerecht geworden sind, den die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes formuliert und den die nachfolgenden Politikergenerationen in Deutschland erfüllt haben. An uns ist die Frage gerichtet: Werden wir die gleiche Stärke aufweisen, unsere Entscheidungen so zu treffen, dass wir eines Tages auch hundert Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Frieden und Freiheit begehen dürfen? Ich wünsche es mir nicht nur für uns, sondern vor allem für unsere Kinder und für unsere Enkelkinder. Herzlichen Dank!“