Ralph Brinkhaus: Es ist unsere Aufgabe, diesem Land die Zuversicht zu geben
Rede zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben in den letzten Wochen sehr viel erreicht durch sehr viel Disziplin in diesem Land, durch sehr viel Geduld, durch sehr viel Arbeit. Ich denke da nicht nur an die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sondern auch an die vielen Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und zu Hause beschulen.
Wir haben in der Tat große Einschränkungen erlebt. Ich möchte nur an eine Sache erinnern: Das Osterfest hat für viele Christen nicht in Kirchen stattfinden können.
(Zuruf von der AfD: Hätte ja stattfinden können!)
Das war in weiten Teilen des Landes selbst 1945 nicht der Fall. Das heißt also, wir haben eine Menge auf uns genommen.
Wir müssen jetzt aufpassen, meine Damen und Herren, dass wir das, was wir aufgebaut haben, nicht wieder einreißen. Deswegen ist es richtig, dass wir hier darüber diskutieren: Wie gehen wir mit Lockerungen um? Wie vorsichtig sind wir? Wie ist die Balance zwischen den Interessen der Arbeit, des Zusammenlebens auf der einen Seite und dem Interesse der Gesundheit auf der anderen Seite?
Ich möchte dazu nur eines sagen: Wir können viele Sachen, nicht alle, aber viele, auch im wirtschaftlichen Bereich, wieder korrigieren – das ist mir sehr wichtig –, aber was wir nicht korrigieren können, ist der Verlust eines Menschenlebens.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Daran muss man bei dieser Sache immer denken, meine Damen und Herren. Deswegen sollten wir die Diskussion mit den Ministerpräsidenten mit großem Bedacht, mit großer Ernsthaftigkeit führen; aber wir sollten sie führen.
Dies vorausgeschickt, möchte ich auf vier Punkte eingehen:
Erstens. Fangen wir an mit dem Parlament. Mir hat das, was Herr Gauland gesagt hat, überhaupt nicht gefallen und das, was Herr Lindner gesagt hat, nur sehr begrenzt gefallen.
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das spricht für den Redner!)
Herr Lindner, ob Justiz eingeschüchtert wird, das überlegen Sie sich noch mal. Gucken Sie sich Ihr Redemanuskript mal an.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber, ehrlich gesagt, wir sind hier im Parlament, und dazu gehört die Auseinandersetzung, dazu gehören erregte Zwischenrufe, wenn irgendwas gesagt wird. Denn das Parlament, meine Damen und Herren, ist der Ort, wo die politische Entscheidungsfindung stattfindet. Und deswegen ist es gut und richtig, dass wir heute diese Debatte führen. Deswegen ist es gut und richtig, dass es heute eine Regierungserklärung gibt. Auch wenn ich teilweise selbst daran beteiligt bin: Koalitionsausschüsse und auch Ministerpräsidentenkonferenzen sind keine Verfassungsorgane. Wir hier sind das Verfassungsorgan, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Theurer [FDP]: Das hat Herr Lindner gesagt!)
Vor dem Hintergrund ist hier der Ort, an dem wir die Debatte führen müssen, wie wir auch mit ethischen Fragen umgehen, wie wir mit der ethischen Frage umgehen, was zu lockern ist, wie wir mit der ethischen Frage umgehen, was wir denn als Gesellschaft ertragen können. Und deswegen, Herr Bundestagspräsident, ist es unser aller Aufgabe, dieses Parlament auch in der Krise, auch in der Pandemie am Laufen zu halten. Wir werden in den nächsten Wochen zeigen, dass wir vollumfänglich beraten, dass wir die Regierung kontrollieren, dass wir Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge machen, wie Rolf Mützenich es gesagt hat,
(Michael Theurer [FDP]: Na dann mal los, Herr Kollege!)
und dass wir uns auch die Freiheit nehmen, zu kritisieren. Es ist richtig und wichtig gewesen, dass die Exekutive schnell gehandelt hat. Aber dies ist eine Republik der Legislative, und das nehmen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ich glaube, auch alle anderen Fraktionen – sehr, sehr ernst, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Theurer [FDP]: Das hat Herr Lindner erwähnt!)
Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist: Freiheit. Das Thema ist gerade mehrfach angesprochen worden, und ich nehme es auch sehr ernst. Es geht um die Freiheit, überall dort hinzugehen, wo man hingehen möchte, die Freiheit, sich zu versammeln, und die Freiheit, natürlich ohne staatliche Interventionen sein Leben zu leben. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir die Freiheit nehme, zu einer Versammlung zu gehen, wenn ich mir die Freiheit nehme, in ein Fußballstadion zu gehen, dann schränke ich die Freiheit von anderen ein. Denn ich treffe in der Pandemie nicht nur eine Entscheidung für mich,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulli Nissen [SPD])
sondern ich treffe auch eine Entscheidung für die Schwächeren, die sich nicht wehren können, die diese Freiheit nicht haben. Das ist der COPD-Kranke, der zu Hause liegt, das ist der ältere Mensch, der nicht besucht werden kann, und das sind viele andere, die Einschränkungen hinnehmen müssen. Deswegen ist es mir viel zu eindimensional, immer das große Lied der individuellen Freiheit zu singen, Herr Lindner. Wir müssen uns vielmehr auch mal mit den Menschen beschäftigen, die diese Freiheit in der Pandemie nicht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen sehr aufpassen, dass wir durch unsere eigenen Freiheitsrechte nicht andere Menschen in ihrer Freiheit einschränken. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.
Dritter Punkt: Wirtschaft. Ja, wir müssen eine Menge tun. Was mich nur befremdet, ist, dass wir nahezu im Stundentakt neue Vorschläge kriegen, die alle auch ihre individuelle Begründung haben, die alle irgendwo auch getriggert sind durch Briefe, durch Mails, die wir kriegen, wem man jetzt noch irgendwo helfen muss. Wenn man, wie wir, in den Wahlkreisen unterwegs ist und die individuelle Not sieht – ob es Reisebüros, Busunternehmer, Gastronomie oder auch andere Betriebe sind –, wenn man sieht, dass Menschen in Kurzarbeit sind und nicht mehr genug zum Leben haben, dann nehmen wir das sehr ernst. Aber wir müssen eine Sache vielleicht auch mal beachten: All das, was wir beschließen – übrigens auch das, was wir gestern Abend beschlossen haben –, kostet Geld – viel Geld –, das von irgendjemandem mal wieder zurückgezahlt werden muss. Wir müssen in dieser Zeit wirklich aufpassen – bei all dem Guten, was wir momentan machen und übrigens auch machen müssen und uns bis jetzt auch noch leisten können –, dass wir bei der ganzen Sache nicht Maß und Mitte verlieren und nicht im Wochentakt nachlegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Das ist eine Sache, bei der ich durchaus auch einige Mitglieder der Bundesregierung angucke, die da meinen, uns über die Medien immer wieder treiben zu müssen und sagen zu müssen, was zu machen sei. Da gucke ich auch den einen oder anderen Ministerpräsidenten an. Ich kann da nur eines sagen: Wir als Unionsfraktion verstehen uns als Hüter der fiskalischen Solidität, auch in Zeiten der Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt möchte ich zu dem vierten Punkt kommen: das Thema Europa. Da bin ich – ich sage das mal sehr diplomatisch –, auch wenn ich in die eine oder andere ausländische Zeitung gucke, sehr irritiert. Wer meint, dass nur derjenige ein guter Europäer ist – im Übrigen gibt es einige hier in Wissenschaft und Politik, die dieses Lied auch singen –, der der Vergemeinschaftung von Schulden das Wort redet, der verschweigt eine Menge. Der verschweigt nämlich, dass wir hier in Deutschland – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, weil wir es auch gerne und aus gutem Grund tun – der größte Nettozahler in der Europäischen Union sind, der größte Garantie- und Kapitalgeber bei all den Rettungspaketen sind, dass wir mehr von der Last der Migration und der Flucht, der legalen und illegalen Migration, übernehmen als jedes andere europäische Land.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na ja!)
Darüber, dass wir in Deutschland in der Krise das Kostbarste, was es momentan überhaupt gibt, anderen Ländern zur Verfügung gestellt haben, nämlich Intensivbetten, wird nicht geredet – das tun wir gerne, weil wir in der europäischen Solidarität sind –, auch nicht darüber, dass wir Deutsche, in Gestalt von Angela Merkel und Olaf Scholz, ein Vier-Säulen-Paket auf den Weg gebracht haben, mit dem wir über den ESM, über die Europäische Investitionsbank, über den Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, über europäische Haushaltsmittel ein Hilfspaket, das sich wirklich sehen lassen kann, für andere europäische Länder auf den Weg bringen, denen es nicht so gut geht, die mit der Krise noch nicht so gut fertigwerden. Da geht es um mehrere Hundert Milliarden Euro; das hätten wir uns alle vor einigen Wochen nicht vorstellen können. Und in dieser Situation stellt man in Zweifel, dass wir solidarische Europäer sind.
Ich würde mir wünschen, dass der eine oder andere – auch in anderen Ländern in Europa –, der immer mit großen Worten das Hohelied von Europa singt, so solidarisch ist, wie wir es hier in Deutschland sind, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich sage ganz deutlich: Wir stehen dazu, dass wir unseren europäischen Partnern helfen. Wir stehen im Übrigen auch dazu – Gerd Müller sitzt gerade nicht hier –, dass wir auch denjenigen helfen, die noch schwächer sind und die noch mehr Probleme haben. Die Pandemie wird Afrika wahrscheinlich stärker treffen als uns in Europa.
Wir stehen dazu, zu helfen. Das meinen wir aufrichtig und ernst; denn wir können uns Europa nur so vorstellen, dass wir solidarisch sind und dass wir in der Krise zusammenhalten. Es muss allerdings auch erlaubt sein, das eine oder andere zu hinterfragen. Meine Damen und Herren, wir handeln. Von anderen hört man oftmals nur Lippenbekenntnisse.
Wir werden – die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen – mit der Pandemie nicht schnell fertigwerden. Wir werden unser normales Leben wahrscheinlich erst wieder zurückbekommen, wenn es einen Impfstoff gibt. Das muss man den Menschen offen und ehrlich sagen. Wir sollten keine falschen Hoffnungen wecken.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass wir vernünftig mit dieser Krise umgehen können. Ich habe hier vor vier Wochen gesagt, dass wir in diesem Land zusammenhalten und dass wir eine große Gemeinsamkeit entwickelt haben. Unsere Wirtschaft ist sehr stark, und wir haben gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, um unsere Wirtschaft zu stützen. Deswegen bin ich immer noch sehr zuversichtlich, dass wir sehr gut, geschlossen und gemeinsam aus dieser Krise herauskommen werden.
Bei aller parlamentarischen Diskussion, die wir führen, und bei aller Kritik, die geäußert wird: Es ist unsere Aufgabe, diesem Land die Zuversicht zu geben, dass wir gut aus dieser Krise herauskommen. Ich glaube, diese Zuversicht können wir diesem Land mit gutem Gewissen geben; denn wir wissen, was zu tun ist. Wir gehen mit dieser Krise verantwortungsvoll um. Vielleicht gehen wir manchmal einen Schritt zu weit, vielleicht gehen wir manchmal einen Schritt in die andere Richtung, aber wir sind immer bereit, die Schritte zu korrigieren und Veränderungen vorzunehmen. Diesen Weg werden wir weitergehen. Und wie gesagt: Ich bin überzeugt, dass der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um das der Öffentlichkeit klarzumachen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)