Dr. Heribert Hirte: Es geht um die Stabilisierung der Wirtschaft in ganz Europa
Redebeitrag zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiuungsverfahrens
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade in der letzten Rede gehört: Das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens – wir beraten den Entwurf, den die Ministerin ausführlich vorgestellt hat – geht auf europäisches Recht zurück. Es geht auf die sogenannte Restrukturierungsrichtlinie zurück, die mehrere Punkte des deutschen Rechts beeinflussen wird. Dies ist der erste, den wir behandeln, und es ist gerade in der Coronakrise der wichtigste Punkt; denn – Frau Ministerin, Sie haben völlig recht – es hilft den Menschen, den Unternehmern, die unverschuldet durch die Coronakrise in Not geraten sind. Das ist ein ganz wichtiges Zeichen, ein ganz wichtiges Signal an diese Menschen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist wichtig, zu sehen, dass diese Richtlinie eingebettet ist in den großen Komplex der Richtlinien zur Kapitalmarktunion. Es geht nämlich um die Stabilisierung der Wirtschaft in ganz Europa; denn wenn Unternehmer in Europa insolvenzrechtlich gleich behandelt werden, dann haben wir keine Banken mehr, die in Schieflage geraten, und dann haben wir auch keine Staaten mehr, die in Schieflage geraten. Das nutzt unserer Währung, dem Euro. Deshalb ist das, was hier von Europa kommt, ein gutes und wichtiges gemeinsames Signal.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damit komme ich zu den Einzelheiten, die ja schon zum Teil angesprochen wurden: Das wesentliche Element ist die Verkürzung der Restschuldbefreiungsperiode von sechs auf drei Jahre. Ja, das ist eine kurze Zeit; und man glaubt auf den ersten Blick, man müsste sie länger halten, damit die Gläubiger mehr bekommen. Wer sich mit Insolvenzverfahren beschäftigt, weiß: Das, was gezahlt, was geleistet wird, wird am Anfang gezahlt. Am Ende kommt ohnehin nichts mehr rum. Deshalb ist das richtig.
Es ist auch richtig, hier auf die Verfahrenskostendeckung zu verzichten – das betrifft letztlich den Justizhaushalt –; denn wenn wir als öffentliche Hand die Entschuldung von unverschuldet in die Insolvenz Geratenen verhindern, weil wir uns als Fiskus bei ihnen bedienen wollen, dann ist das sozialstaatlich bedenklich.
Es ist ebenso richtig, dass wir diese Mindestbefriedigungsquote abschaffen. Diese konnte in vielen Fällen nicht erreicht werden, weswegen das Gesetz nicht wirklich wirkte.
Deshalb ist es auf der anderen Seite richtig und verständlich, um falsche Anreize zu vermeiden – auch das wurde schon angesprochen –, dass wir an der einen oder anderen Stelle nachschärfen. Die sogenannten Obliegenheiten, die einen Insolvenzschuldner in dieser Phase von drei Jahren treffen, werden verschärft. Wir sehen jetzt auch vor, dass etwa Schenkungen abgeführt werden müssen, die bisher nicht abgeführt werden mussten. Auch wer es vorsätzlich unterlässt, Geld zu verdienen, hat nicht das Privileg des Verfahrens.
Insofern besteht ein Gleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, für die Unternehmerinnen und Unternehmer. Dieser Schritt ist nachhaltig, was gerade in diesen Tagen wichtig ist.
(Beifall des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Und jetzt kommen die Punkte, über die wir noch einmal nachdenken müssen – heute Morgen haben wir im Ausschuss beschlossen, in der übernächsten Sitzungswoche eine Anhörung durchzuführen –:
Die Richtlinie sieht vor, dass Unternehmerinnen und Unternehmer dieses Privileg des Restschuldbefreiungsverfahrens bekommen können. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht weiter und erstreckt dieses Privileg auf Verbraucherinnen und Verbraucher; und das ist auch richtig so. Ich will daran erinnern, dass wir als Bundestag, als Unterausschuss Europarecht und auch als Fraktion uns an diesem Rechtsetzungsverfahren auf europäischer Ebene intensiv beteiligt haben. Wir haben der Bundesregierung Leitplanken gesetzt, wir haben Wünsche aufgelistet und gesagt, in welche Richtung es gehen soll. Die Bundesregierung hat das dankenswerterweise in Brüssel auch so verhandelt.
Ein wesentlicher Punkt war, dass wir als Arbeitsgruppe Recht gesagt haben: Das Recht soll und darf erstreckt werden auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieser Schritt, der hier gegangen wird, ist richtig. Das ist insbesondere in dieser Coronazeit ein wichtiges Signal. Dass diese Regelung laut Gesetzentwurf der Bundesregierung befristet sein soll, hat uns nicht ganz so überzeugt. Das ist ein Punkt, über den wir vielleicht noch einmal nachdenken müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])
Beim zweiten Punkt ist es genau umgekehrt: Im ursprünglichen Referentenentwurf stand, dass Auskunfteien das Datum, dass die Restschuldbefreiung stattgefunden hat, nicht verwenden dürfen. Ich bin froh, dass diese Formulierung nicht mehr im Entwurf steht; in der Evaluation soll dieser Punkt noch einmal angeschaut werden. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: Das frühere Kreditverhalten spielt eine Rolle. Zu glauben, dass, wenn das Datum von den offiziellen, bezahlten Auskunfteien nicht mehr verzeichnet wird, es dann auch nicht mehr im Netz auffindbar ist, ist ein Irrglaube. Das Recht auf Vergessen ist zwar vom Bundesverfassungsgericht anerkannt, lässt sich aber nicht für alle diese Daten durchsetzen. Es ist so: Wir haben auch kein Recht auf einen neuen Kredit. Das muss jeder wissen, der die Restschuldbefreiung beantragt. Dadurch wird indirekt der Anreiz gesetzt, sich nicht neu zu verschulden. Ich glaube, auch dieses Signal ist wichtig, nicht nur die Verlängerung der Fristen.
Der letzte Punkt: Die Anhörung soll am 30. September 2020 stattfinden. Wir werden es nicht schaffen, das Gesetz am 1. Oktober im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Ich glaube, es ist in Ordnung, wenn es einige Tage später kommt und wir es dann rückwirkend zum 1. Oktober in Kraft setzen. Es ist ein begünstigendes Gesetz; Vertrauensschutzbedenken und damit verfassungsgerichtliche Bedenken in dieser Richtung sehe ich nicht. Insofern, glaube ich, kommen wir auch bei diesem sozusagen technischen Punkt am Ende noch zusammen. Lassen Sie uns gemeinsam beraten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)