Alexander Hoffmann: Der Rechtsstaat muss mit der Zeit gehen
Redebeitrag zum Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Eine Haushaltsdebatte ist immer auch ein guter Zeitpunkt für eine Standortbestimmung. Kurz vor Beginn des letzten Jahres dieser Legislaturperiode ist es, glaube ich, gut, dass wir auch noch mal fokussieren: Was wollen wir denn noch anpacken?
Ich möchte meine Redezeit vor allem für ein Thema nutzen, das uns im Sommer alle, glaube ich, durchaus emotional aufgewühlt hat. Das sind die Missbrauchsfälle in Münster und Bergisch-Gladbach gewesen. Was mich bis heute nicht loslässt, ist ein Satz, der damals ins Land ging. Er ist gesagt worden von dem in Münster ermittelnden Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt. Er hat gesagt – Herr Präsident, ich zitiere – :
Selbst die erfahrensten Kriminalbeamten sind an die Grenzen des menschlich Erträglichen gestoßen und weit darüber hinaus.
Das hat er gesagt zu dem, was dort an Bildern, an Ereignissen zutage gefördert wurde. Ich glaube, das ist ein guter Zeitpunkt, mal den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Danke zu sagen, die in diesem Bereich tätig sind und jeden Tag mit Ereignissen und Bildern zu tun haben, die sie unter Umständen ein ganzes Leben nicht loslassen. Dafür ein herzliches Vergelt’s Gott!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Roland Hartwig [AfD])
Was wir bei der analytischen Betrachtung der Ereignisse in Münster feststellen müssen, ist, dass es sich dabei um ein Paradebeispiel für die Herausforderung handelt, der wir heute im Bereich der Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch gegenüberstehen. Gefunden wurde eine professionelle IT-Ausstattung, Speichervolumen von bis zu 500 Terabyte. Nur zur Information: Auf 1 Terabyte kann man zwischen 250 und 2 Millionen Bilder abspeichern. Fachleute sagen, dass es für einen einzelnen Beamten je nach Endgerät 30 Jahre dauern würde, das gesamte Material, das dort vorgefunden worden ist, zu sichten. Es ging um hundertfachen Missbrauch, minutiös verabredet und geplant, der millionenfach in Sekundenschnelle ins Netz gestellt wurde und damit um die Welt gegangen ist.
Wir merken, dass die digitale Welt eine ganz neue Dimension an Sexualstraftaten und eine ganz neue Dimension an Unrechtsgehalt möglich macht. Wenn Sie sich an die 80er- und 90er-Jahre erinnern, dann stellen Sie fest, dass Kinderpornografie in Form von Booklets mit 10 bis 20 Bildern gehandelt wurde und alles in der analogen Welt stattfand: Kontaktaufnahme in der analogen Welt, Verabredung mit anderen in der analogen Welt, Übergabe von Datenträgern in der analogen Welt – alles immer verbunden mit dem Risiko der Entdeckung. Heute nutzen die Täter die Anonymität im Netz schon, um mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen. Sie können sich im Schutz des Netzes verabreden und verbreiten das Material millionenfach im Netz, nie wieder zurückholbar; darauf komme ich noch zu sprechen.
Wir merken, Frau Ministerin: Der Rechtsstaat muss mit der Zeit gehen. Wir haben Straftatbestände, gerade im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Kinder, die eigentlich Unrechtsgehalt vor allem in der analogen Welt abbilden. Deshalb brauchen wir – da sind wir uns einig – Verschärfungen, die eben auch das Unrechtspotenzial abbilden können, das wir heute wie im Fall Münster tatsächlich erleben. Da – gestatten Sie mir den Hinweis – empfinden wir von der Union – auch wir von der CSU – Ihren vorgelegten Referentenentwurf als zu zaghaft. Es hat letzte Woche eine Ressortabstimmung mit dem Bundesinnenministerium gegeben, und ich bin dem Bundesinnenminister Horst Seehofer sehr dankbar, dass da verschiedene Vorschläge zur Verschärfung unterbreitet wurden – das war ein ganz bunter Strauß –, und fast alle wurden von Ihrem Haus bzw. von Ihnen abgelehnt.
Wir haben jetzt festgestellt – vorgestern fand ein Gespräch dazu statt –, dass Bewegung reinkommt. Ich will mal mehrere Themenfelder herausgreifen. Das eine ist der Bereich „Kindersexpuppen in Deutschland“. Sie haben gestern, Frau Ministerin, glücklicherweise angekündigt, dass Sie sich dort eine Bewegung vorstellen können.
(Zuruf der Bundesministerin Christine Lambrecht)
– Nein, ist es eben nicht. Das ist genau die Reaktion Ihres Hauses. – Meine Damen, meine Herren, Sie können im Moment in Deutschland Kindersexpuppen legal bestellen und besitzen,
(Mechthild Rawert [SPD]: Stimmt doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Doch!)
ohne dass sich daran eine strafrechtliche Sanktion knüpft.
(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)
Die Behauptung Ihres Hauses, dass so etwas unter § 184b StGB fallen würde, ist letztendlich nicht richtig; denn wenn die Puppe angezogen ist, sehen Sie eben keinerlei kinderpornografische Bestandteile.
(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: So ist es!)
Das ist das große Problem, und da wünschen wir uns von Ihnen mehr Aufgeschlossenheit. Ich glaube, von diesem Haus muss auch das gesellschaftspolitische Signal ausgehen, dass wir so etwas in unserem Land nicht wollen. Nicht umsonst gibt es ein entsprechendes Verbot in Dänemark und in Australien sowie eine Bundesratsinitiative von Nordrhein-Westfalen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen, meine Herren, noch zwei Themenfelder. Ich glaube schon, dass die lebenslange Speicherung im Bundeszentralregister richtig ist. Wenn man sich mit dem Phänomen beschäftigt, dann weiß man, dass Pädophilie Wiederholungsgefahr birgt, weil das auf einen Gendefekt des Täters zurückzuführen ist.
(Mechthild Rawert [SPD]: Nicht nur!)
Weil das so ist, Frau Ministerin, spricht sehr viel dafür, dass solche Täter in ihrem ganzen Leben nie wieder mit Kindern zu tun haben sollten – als Betreuer, als Übungsleiter und dergleichen. Das ist keine Stigmatisierung, sondern einfach eine Vorsichtsmaßnahme.
Frau Ministerin, das Innenministerium hat auch das Thema „Lebenslange Freiheitsstrafe für besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs“ ins Gespräch gebracht. Wenn wir uns den Fall in Münster anschauen, erkennen wir: Es gibt eben nicht nur Unrechtsgehalt auf der einen Ebene, nämlich in der analogen Welt, mit dem sexuellen Übergriff an sich, sondern es entsteht auch eine ganz neue Dimension des Unrechts in dem Moment, wo solche Bilder und Filme aufgenommen werden, wo sie millionenfach um die Welt gehen. Das Opfer leidet sein ganzes Leben lang unter diesen Bildern und Eindrücken. Es wird Opfer geben, die sich unter Umständen wünschen, lieber tot zu sein, als ein solches Leben weiterzuführen.
Ich glaube, angesichts dieses Unrechtsgehalts muss der Rechtsstaat eine Antwort darauf finden. Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie die Diskussion um die lebenslange Freiheitsstrafe in besonders schweren Fällen, wie sie vom Innenministerium angestoßen worden ist, bitte zu.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wenn er zulässt, Präventionsangebote auszubauen!)