Eckhardt Rehberg: Maß und Mitte halten
Redebeitrag in der allgemeinen Finanzdebatte zur Einbringung des Haushaltsgesetzes 2021
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kindler, ich finde, Schuldenmachen ist ein bisschen platt. Das ist weder sexy noch geil. Ich sage Ihnen auch, warum mir das so geht: Es kann sein, dass wir unterschiedlich sozialisiert sind. Ich bin Flüchtlingskind, und zu DDR-Zeiten konnte bei uns nur so viel verbraucht werden, wie wir hatten. So bin ich sozialisiert, Mutter: Näherin, Vater: Schiffbauer. Vielleicht prägt mich das heute noch. Ich bin eigentlich froh, dass vor gut einem Jahrzehnt, damals in der Finanzkrise, dieser Deutsche Bundestag die Schuldenbremse, so wie sie heute ist, eingeführt hat. Denn zum Thema Nachhaltigkeit, zum Thema Klima gehört, wenn man schon darüber redet, auch die Nachhaltigkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik. Beides ist Generationengerechtigkeit. Beides gehört zusammen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird immer die Finanzkrise 2009/2010 mit der jetzigen Coronakrise verglichen und geschaut, wie wir damals da rausgekommen sind.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das sind ja Milchbubenrechnungen!)
Die Schulden in den Jahren 2003 bis 2013 betrugen gut 300 Milliarden Euro. Dieses und nächstes Jahr werden es 314 Milliarden Euro sein. Es gibt nur einen gewaltigen Unterschied – es gibt sogar mehrere – zwischen 2009/2010 und heute: Ja, wir hatten einen Haushalt von 300 Milliarden Euro und eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro. Aber in fünf Kalenderjahren ist die Neuverschuldung auf null heruntergegangen; denn – erstens – gab es in der Zeit keine Ausgabenzuwächse.
(Otto Fricke [FDP]: Eben!)
Zweitens – und das wird diesmal nicht so sein, Herr Scholz –: Die Zinsausgaben liegen seit Jahren bei 12 Milliarden Euro, aktuell bei 9,7 Milliarden Euro. Damals lagen sie bei 40 Milliarden Euro und sind sukzessive, Stück für Stück gesunken. Wir hatten im ersten Jahr, 2010, ein Wirtschaftswachstum von 4,1 Prozent; 2011 waren es 3,9 Prozent. Das heißt: In zwei Jahren hat sich die Basis ganz schnell erhöht. – Wir werden der Prognose zufolge nächstes Jahr ein Wachstum von 4,4 Prozent haben.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auf ein viel höheres Bruttoinlandsprodukt!)
Aber die Ausgaben in der alten und in der neuen Finanzplanung wachsen deutlich.
(Otto Fricke [FDP]: So ist es!)
Und: In den Folgejahren dieses Wachstum zu generieren, wird, glaube ich, schwierig. Deswegen reden wir in der Union nicht vom Sparen. Sparen ist nicht das Thema.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Maß und Mitte zu halten, ist, finde ich, schon das Thema.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deswegen ist es auch richtig, Kollege Kindler, dass es eine Bremse beim Schuldenmachen gibt und dass es heißt, dass das, was über die Aussetzung der Schuldenregelung nach Artikel 115 Grundgesetz aufgenommen wird, auch wieder getilgt werden muss. Ich bin schon dafür, dass noch diese Generation die Schulden tilgt, die sie heute zu verantworten hat,
(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sehr richtig!)
und dass man nicht Zeiträume von 40 oder 50 Jahren nimmt und es somit auf die nächste und übernächste Generation verschiebt. Es ist einfache Politik, Kollege Kindler, die Lasten wegzuschieben, die man heute verursacht. Das ist aber keine Unionspolitik an der Stelle.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Da hier beklagt wird, dass wir zu wenig fürs Klima tun: Liebe Kolleginnen und Kollegen, guckt doch mal in den Energie- und Klimafonds. Wir haben dieses Jahr eine Zuführung von gut 26 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr stehen gute 26 Milliarden Euro in diesem Fonds zur Verfügung. Es ist, glaube ich, richtig – auch das ist „Sozialpolitik“ –, 10,8 Milliarden Euro für die Stabilisierung der Netzentgelte bereitzustellen.
In Richtung der FDP. Die Entlastung von knapp 11 Milliarden Euro plus 17 Milliarden Euro – Soli plus Kindergelderhöhung – bedeutet insbesondere eine Entlastung der Bezieher niedriger und unterer Einkommen im kommenden Jahr. Erzählen Sie uns nicht, wie wir Sozialpolitik machen sollen und wie wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten! Das können wir schon ganz alleine an der Stelle.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Kollege Rohde ist umfänglich darauf eingegangen, wo und wie wir investieren.
Ganz spannend finde ich das, was mir vorhin auf den Schreibtisch geflattert ist. Otto Fricke hat gesagt: Wir versprechen, was wir halten können. – Das ist ein Bauchladen, lieber Kollege Fricke. Ich habe das mal kurz überschlagen und komme auf 50 Milliarden Euro an Steuerentlastung, die die FDP strukturell in den nächsten Jahren vornehmen will.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Unfassbar! – Otto Fricke [FDP]: Wie die CDU! Wie Herr Söder!)
Mit der Abschaffung des Soli und des Mittelstandsbauchs komme ich auf über 50 Milliarden Euro.
Übrigens ist an der Stelle die Gegenrechnung ganz spannend.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das macht er bestimmt ganz nachhaltig!)
Ich bin ein großer Freund der Mütterrente
(Otto Fricke [FDP]: I oder II?)
– beider –,
(Otto Fricke [FDP]: Ah!)
und zwar aus zwei Gründen: Erstens. Ich konnte meiner Frau nie erklären, dass sie keine Mütterrente bekommt, weil unsere Kinder vor 1992 geboren sind. Zweitens. Wisst ihr, warum die Altersarmut im Osten so gering ist? Gerade wegen der Mütterrente.
(Otto Fricke [FDP]: Das gilt aber auch für die, die gearbeitet haben!)
– Ja, klar. – Wir haben im Osten relativ gesehen nur ein Viertel der Altersarmut im Westen, und ein Hauptgrund sind die Renten der Mütter. Die Mütterrente hat mit dazu beigetragen, dass die Altersarmut im Osten gerade bei Frauen so gering ist.
(Otto Fricke [FDP]: Das sind zwei verschiedene Leistungen!)
Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das zurückdrehen wollen würden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber besonders spannend ist der letzte Punkt bei euch. Da wird 1 Milliarde Euro veranschlagt für die regulierte Freigabe von Cannabis für den selbstbestimmten und verantwortungsvollen Konsum. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich hätte da geschrieben: Kiffen gegen Schulden. – Wem nichts anderes einfällt, der tut mir leid an dieser Stelle.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Was ist denn das für ein Quatsch? – Alexander Dobrindt [CDU/CSU], an die FDP gewandt: Das ist ja peinlich! – Otto Fricke [FDP]: In der nächsten Legislatur werdet ihr das mit den Grünen beschließen!)
Also, passt mal auf: Wenn ihr mit dieser einen Milliarde Euro wenigstens noch dafür gesorgt hättet, dass im Rauschbereich regionale Produkte genommen werden, dann wäre ich ja vielleicht noch damit einverstanden gewesen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Wort!)
Aber außer Mecklenburger Kräuterlikör kommt bei mir nichts in den Kühlschrank.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jeder, wie er will!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder zum Ernst der Stunde zurück. Natürlich gibt es Reserven in diesem Haushalt. Ich finde, es ist nicht in Ordnung, Herr Scholz, dass die Reste von 2016 – 9 Milliarden Euro – bis heute auf über 22 Milliarden Euro angewachsen sind,
(Otto Fricke [FDP]: Ja!)
davon 5 Milliarden Euro flexibilisiert. Warum? Warum schreitet das Bundesfinanzministerium da nicht ein? Warum wird den Ressorts nicht stärker auf die Finger geklopft an der Stelle?
(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)
Das, finde ich, ist eine Aufgabe für die Haushaltsberatungen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke [FDP])
Ein weiterer Punkt sind die Abflüsse beim Sondervermögen. Frau Kollegin Lötzsch, wenn der Bund mit allen 16 Ländern eine Verwaltungsvereinbarung schließt und den Ländern das Geld zur Verfügung steht – nach dem Königsteiner Schlüssel oder wie auch immer –, dann können Sie doch nicht das Unvermögen für den Mittelabfluss dieser Titel – beim DigitalPakt Schule, beim Schulsanierungsprogramm und, und, und – beim Bund suchen. Dafür sind die Länder und Kommunen verantwortlich, die das Geld bekommen und die Maßnahmen umsetzen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel hat bisher nicht einen Cent aus dem Schulsanierungsprogramm umgesetzt, und die Schulen bei uns sehen auch nicht gerade schön aus. Deswegen sollten wir mal deutlich machen: Wir stellen im Bundeshaushalt den Ländern und Kommunen insgesamt über 100 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber die Verantwortung für die Umsetzung liegt nicht beim Bund, sondern vordringlich bei den Ländern und Kommunen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])
Ich freue mich wie alle anderen Redner aus den Fraktionen auf intensive Haushaltsberatungen. Das Wort von Peter Struck gilt: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)