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Petra Nicolaisen, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
(Quelle: CDU/CSU-Bundestagsfraktion)

"Homeoffice allein reicht nicht"

Petra Nicolaisen über gute Bedingungen für das Leben auf dem Land – Großstadt und Dorf sind gleichwertig

Von über 80 Millionen Menschen in Deutschland leben 77 Prozent in Städten – davon aber nur der geringere Teil in urbanen Ballungsräumen, die Mehrheit hingegen in kleinen und mittleren Städten in ländlicher Umgebung. Über gleichwertige Lebensverhältnisse in Städten und auf dem Land sprechen wir mit der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Petra Nicolaisen. 

Frau Nicolaisen, Sie haben das Amt im Januar angetreten. Welche Ziele haben Sie sich ganz persönlich gesetzt? 

Nicolaisen: Mir sind solide Kommunalfinanzen natürlich sehr wichtig, aber ich möchte mich insbesondere um die Frage gleichwertiger Lebensverhältnisse kümmern. Hier hat die Ampel-Koalition einen blinden Fleck. Sie trifft ihre Entscheidungen zu oft aus der großstädtischen Perspektive, was die Landflucht befeuert. Je mehr Menschen in die Städte ziehen, desto unattraktiver wird allerdings der ländliche Raum, desto angespannter wird die Lage in den städtischen Ballungszentren. Auf beiden Seiten verschärft sich die Situation – ein Teufelskreis. 

Stadt und Land – das sind völlig unterschiedliche Lebensrealitäten. Wo sehen Sie Vorteile, wo Nachteile? 

Nicolaisen: In Groß- und Mittelstädten hat man vieles, was man täglich braucht, vor der Haustür oder zumindest um die Ecke. Es gibt jede Menge Geschäfte und Gaststätten, Ärzte und Apotheken, Kitas und Schulen, Kinos und Theater. Man kommt leicht ohne eigenes Auto zurecht, weil auch der Nahverkehr gut ausgebaut ist. Nachteile sind eine höhere Lärmbelastung, räumliche Enge und mitunter dicke Luft. Auf dem Land ist es im Grunde andersherum: Man hat viel Ruhe, Platz und gute Landluft, muss aber weite Wege zum Einkaufen, zum Arzt oder zur Apotheke, zum Kindergarten oder zur Schule in Kauf nehmen. Will man Kultur erleben, muss man in die nächste Stadt fahren. Weil aber der Bus nur selten fährt, läuft kaum etwas ohne den eigenen PKW.

Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, was er lieber mag. Und die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass jeder mit seiner Entscheidung auch gut leben kann. Wer – wie die Ampel-Koalition – einseitig auf Urbanisierung setzt, vernachlässigt gleichwertige Lebensverhältnisse sträflich. 

"Wir dürfen den Individualverkehr nicht verteufeln"

Die Unionsfraktion setzt sich seit jeher für gleichwertige Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land ein. Was brauchen die ländlichen Räume am dringendsten, damit die Menschen nicht abwandern? 

Nicolaisen: Wenn wir das Leben auf dem Land attraktiv machen wollen, können wir uns nicht einfach hinstellen und den Leuten sagen: Kommt her und macht von hier aus Homeoffice! Allein schon dafür ist die Voraussetzung ein flächendeckender Glasfaserausbau. Zudem braucht es einen guten öffentlichen Nahverkehr, eine ausreichende medizinische Versorgung, Bildungsangebote und kulturelle Vielfalt – kurzum: eine kommunale Infrastruktur. Aber es geht noch weiter. Wir müssen Familien finanziell fördern, damit sie sich ein Eigenheim auf dem Land leisten können. Für die Kinder dieser Familien müssen wir die sogenannten Zwergschulen erhalten, welche die Landesrechnungshöfe gerne als unrentabel kritisieren. Wir dürfen auch den motorisierten Individualverkehr nicht verteufeln. Die Leute brauchen ihr Auto. Sie werden aber verunsichert, wenn sie von Forderungen nach einer Einschränkung des Individualverkehrs und der Abschaffung der Pendlerpauschale hören. Solche Diskussionen schrecken auch diejenigen ab, die sich vorstellen könnten, aufs Land zu ziehen. Grundsätzlich brauchen wir ein ganz anderes Mindset: Wir müssen zeigen, dass wir das Leben auf dem Land nicht nur dulden, sondern aktiv unterstützen. 

Was kann die Digitalisierung dazu beitragen, die ländlichen Räume attraktiv zu halten? 

Nicolaisen: Digitalisierung ist Voraussetzung dafür, dass man auf dem Land leben und von zu Hause aus arbeiten kann. Ohne Digitalisierung und Homeoffice ist das Wohnen auf dem Land häufig aufwändig und belastend, weil man zwar schön wohnt, aber täglich zur Arbeit in die Stadt pendeln muss. Das möchte sich nicht jeder antun. 

Wie kann man die Mobilität im ländlichen Raum verbessern? 

Nicolaisen: Wir brauchen als erstes eine Mobilitätspolitik, die nicht aus der großstädtischen Blase auf das Leben im ländlichen Raum blickt. Die Lebenswirklichkeit ist in Nordfriesland oder der Lüneburger Heide eine andere als in Berlin, München oder Hamburg. Das bedeutet, dass wir für die ländlichen Räume mehr als nur den klassischen Personennahverkehr oder Sharing-Angebote brauchen. Die Dörfer müssen über regelmäßige Verkehrsangebote, über flexible Rufbusse oder vereinsgetragene Bürgerbusse an die Städte angebunden werden. Die Reaktivierung von Bahnstrecken ist ebenfalls gut, macht aber nur Sinn, wenn die Bahnhöfe gut erreichbar sind. Wenn man erst unter großem Aufwand mit dem Bus zu einem entfernt liegenden Bahnhof fahren muss und dabei jede Menge Zeit verliert, ist das Murks.

Schauen wir uns ein Themenfeld gesondert an. Stichwort Migration: Wie kann man den Kommunen am wirksamsten helfen? 

Nicolaisen: Die Kommunen arbeiten bei der Bewältigung der Migration am Anschlag. Sie brauchen im Grunde eine Belastungspause, um endlich wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Dafür muss der Zuzug nach Deutschland drastisch reduziert werden. Denn nur dann gäbe es weniger Migranten auf die Kommunen zu verteilen. Viel geholfen wäre außerdem, wenn nur noch diejenigen, die eine Bleibeperspektive haben, auf die Kommunen verteilt werden. Das bedeutet natürlich, dass die Asylverfahren ausschließlich in Erstaufnahmeeinrichtungen abgewickelt und abgelehnte Antragsteller konsequent zurückgeführt werden. In der konkreten Situation brauchen die Kommunen Verlässlichkeit bei der Finanzierung ihrer Aufgaben. Sie brauchen Hilfe bei der Unterbringung der Migranten und bei der Bereitstellung von Betreuungsangeboten. Die Hilfe, die der Bund bislang bereitgestellt hat, reicht nicht ansatzweise aus – und sie bleibt weit hinter dem zurück, was die unionsgeführte Bundesregierung nach 2015 bereitgestellt hatte.

Aus: Printausgabe Fraktion Direkt | Juli 2024

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