Axel Müller: "Eine obligatorische Volksabstimmung müsse bei jeder Grundgesetzänderung erfolgen"
Einführung der Direkten Demokratie auf Bundesebene
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sprichwörtlich sind ja aller guten Dinge bekanntlich drei: Nach April 2018, August 2019 hofft die AfD-Fraktion nunmehr im Februar 2021 mit einem weiteren Antrag in Sachen direkte Demokratie auf Applaus oder zumindest auf hohe Zugriffsraten in den eigenen Onlinefilterblasen.
Dabei könnte dem interessierten AfD-Beobachter durchaus auffallen, dass sich im aktuellen Antrag wenig Neues findet, ja, ganze Passagen früherer Antragsbegründungen übernommen worden sind. In der 21er-Edition Ihres Dauerbrenners schweben Ihnen nun zwei Arten von Volksabstimmungen vor, zum einen die fakultativen, bei denen die Bundesregierung Sachfragen zur Ermittlung des Volkswillens vorlegen müsste oder Gesetze und völkerrechtliche Verträge nach Zeitablauf von einem Jahr zur Abstimmung vorlegen müsste, wenn 1 Million Stimmberechtigte es verlangen. Da frage ich mich: Quo vadis, Deutschland? Gilt künftig nicht mehr „Pacta sunt servanda“, halten wir uns nicht mehr an internationale Verträge?
Zum anderen verlangen Sie Volksabstimmungen bei völkerrechtlichen Verträgen, Beitritt zu supranationalen Organisationen und der Übertragung von Hoheitsrechten ohne Abänderung von durch Volksabstimmung zustandegekommenen Gesetzen. Die dürfen nach der verqueren AfD-Logik ja auch nur durch eine Volksabstimmung aufgehoben oder geändert werden.
Warum in Wirklichkeit statt aller guten Dinge hier aller schlechten Dinge drei sind, will ich kurz erläutern. Erstens. Beginnen will ich mit den Leumundszeugen, der Sie sich bei Ihrem Antrag bedienen. Sie verweisen auf Anträge der SPD, der Grünen, der FDP und der Linken aus den Jahren 2002 bis 2013, die sich allesamt auch mit der Einführung direktdemokratischer Elemente im Grundgesetz befasst haben, aber an den demokratischen Mehrheiten in diesem Haus gescheitert sind. Sie gaukeln damit vor, dass die AfD in guter demokratischer Tradition handeln würde. Zumindest den Anträgen von SPD, FDP und Grünen war allerdings gemeinsam, dass sie immer mit den Worten beginnen: Die repräsentative Demokratie in Deutschland hat sich bewährt. – Beim AfD-Antrag vermisse ich so etwas. Das ist sicher kein Versehen, sondern vielmehr entlarvend. Denn die repräsentative Demokratie ist Ihnen doch in Wirklichkeit ein Gräuel; weite Teile der AfD-Fraktion stellen dies regelmäßig durch ihr Verhalten hier in diesem Hohen Haus unter Beweis.
Exemplarisch möchte ich zweitens auch einen erheblichen handwerklichen Mangel hervorheben: Eine obligatorische Volksabstimmung müsse bei jeder Grundgesetzänderung erfolgen. Das würde bedeuten, dass beispielsweise über die in der 18. Wahlperiode erfolgten umfangreichen Änderungen des Grundgesetzes im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich in einer Volksabstimmung hätte entschieden werden müssen. Verschiedenen Interessen mit einem Kompromiss gerecht zu werden, das würde angesichts der naturgemäß unterschiedlich gelagerten Interessen der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesländer zunichtegemacht – ein vollkommen untaugliches Instrument.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und künftig soll es dann in Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz einen neuen Satz 3 geben – das ist eigentlich der Hauptmangel –, in dem es heißen soll:
Der geäußerte Wille des Volkes ist oberstes Gesetz; seine Entscheidungen können nur von ihm selbst abgeändert oder aufgehoben werden.
Das heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als dass die Antragssteller dem Parlament für weite Bereiche die Gesetzgebungsbefugnis entziehen wollen – was mich wieder zum Anfang meiner Behauptung zurückführt: Sie lehnen die parlamentarische Demokratie ab, Sie verabscheuen sie geradezu, insbesondere wenn es um die für eine repräsentativ Demokratie unverzichtbare Mitwirkung politischer Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes geht.
Damit ignorieren Sie und verkürzen Sie auch geschichtliche Erfahrungen, welche die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes dazu geführt haben, auf plebiszitäre Elemente weitestgehend zu verzichten. Es war nämlich keineswegs so, wie Sie es in Ihrem Antrag hier schreiben, dass in der Weimarer Republik praktisch ausschließlich die Wahl des Reichspräsidenten direktdemokratisch geregelt gewesen sei. Es gab vielmehr die Möglichkeit, Gesetze einem Volksentscheid zuzuführen. Medienunternehmer wie der deutschnationale Alfred Hugenberg, der bürgerliche Wegbereiter der Nazis, nutzten gerade auch das Umfeld der Plebiszite, um die junge Demokratie zu schwächen. Darum geht es Ihnen in Wahrheit: um Stimmungsmache, um die Aufwiegelung der Bevölkerung gegen das demokratische System, um eine „Prämie für … Demagogen“, wie es Theodor Heuss einmal ausgedrückt hat.
Auch aus diesen Erfahrungen heraus entschied man sich bei Abfassung des Grundgesetzes, weitestgehend auf plebiszitäre Elemente zu verzichten, um genau das zu verhindern, was Sie gerne hätten: dass in einer zeitlich begrenzten, emotional aufgeheizten Stimmung Ergebnisse herbeigeführt werden, die einer Momentaufnahme entstammen – wie Sie es unter Hinweis auf die Flüchtlingssituation des Jahres 2015 ausdrücklich ausführen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Fukushima, sage ich nur! Nicht das Volk, sondern die Kanzlerin!)
Im Gegensatz zu Ihnen leite ich daraus allerdings ab, dass die repräsentative Demokratie noch wichtiger geworden ist. Irgendjemand muss am Schluss Entscheidungen treffen und auch dazu stehen. Oder, um mit den Worten – die Zeitüberschreitung nutze ich, um Sie zu zitieren, Herr Präsident – unseres Parlamentspräsidenten zu schließen:
Wir müssen verhindern, dass der Vorwurf, der Bundestag sei eine Quasselbude, wieder an Kraft gewinnt.
Das wollen wir als CDU/CSU ganz besonders. Daher folgen wir Ihrem Antrag nicht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)