Dr. Gerd Müller: "Mit der Agenda 2063 hat die Afrikanische Union ihren eigenen Weg definiert"
Für eine umfassende Afrikapolitik im globalen Kontext
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert Afrikas. Die Bevölkerung Afrikas wächst bis 2050 auf 2 Milliarden Menschen und bis 2100 möglicherweise auf 4 Milliarden Menschen – ich komme gerade von der Botschafterkonferenz in meinem Haus –; Afrika ist der Wachstumskontinent des 21. Jahrhunderts. Afrika ist Faszination, Herausforderung und Chance zugleich.
Ich erinnere mich an die Rede, die Horst Köhler gehalten hat, als er hier zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Er hat dieses Thema bereits vor zwanzig Jahren zu einem Schwerpunktthema gemacht, und er hatte recht, meine Damen und Herren.
Mit der Agenda 2063 hat die Afrikanische Union ihren eigenen Weg definiert. Uns muss dennoch klar sein: Europa, Deutschland, Afrika – bei den großen, globalen Herausforderungen sitzen wir in einem Boot; wir sind eine Welt. Wir müssen jetzt neue Brücken der Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika bauen. Mit dem Marshallplan mit Afrika haben wir einen Paradigmenwechsel eingeleitet und eine neue Form der Zusammenarbeit auf Augenhöhe umgesetzt.
Uns verbinden Kultur und Geschichte; denn Afrika ist die Wiege der Menschheit. Frühe Hochkulturen haben sich dort entwickelt. Wir in Europa tragen aber auch geschichtliche Verantwortung für die Versklavung der Menschen in Afrika und den Sklavenhandel, für die Folgen und für die Verbrechen des europäischen Kolonialismus. Meine Damen und Herren, wer Geschichte nicht versteht, kann Zukunft nicht gestalten.
Heute verbinden uns gemeinsame Interessen – der Außenminister hat darauf hingewiesen – in Fragen der Sicherheit in der Sahelregion, in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, des Umwelt- und Klimaschutzes – kein Klimaschutz ohne den afrikanischen Kontinent –, aber auch in der Frage der Migration.
Afrika 2063 – das ist der afrikanische Weg, den wir unterstützen. Das jetzt verhandelte Post-Cotonou-Abkommen bietet die Chance eines neuen Jahrhundertvertrags: ein Kontinent-zu-Kontinent-Abkommen zwischen Afrika und Europa für die Vernetzung des europäischen Binnenmarktes mit der neuen Afrikanischen Freihandelszone. Unsere Antwort darauf muss eine Europäisierung der Afrika-Politik sein. Das sage ich insbesondere in Richtung von Brüssel – nicht in Richtung des Außenministers; wir sind uns hier einig –; denn in Brüssel muss einiges passieren.
Erstens: die Entwicklung und Vernetzung politischer Strukturen – wir laufen nebeneinander, nicht miteinander –, etwa durch die Schaffung eines EU-Afrika-Rates und durch die Einsetzung eines EU-Afrika-Kommissars. Es sollten sich nicht fünf Kommissare da oder dort für diesen Kontinent bemühen.
Zweitens: der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in erster Linie durch faire Handelsbeziehungen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dazu gehört aktuell – ich bedanke mich dafür bei den Koalitionsfraktionen – ein Lieferkettengesetz, das mit der Ausbeutung von Kindern, der Ausbeutung von Mensch und Natur Schluss macht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die afrikanischen Botschafterinnen und Botschafter haben sich heute ausdrücklich bedankt; denn das ist der Weg: durch fairen Handel, Wertschöpfung vor Ort – auf den Kaffee-, Baumwoll-, Kakaoplantagen, in den Kupfer-, Coltan-, Kobaltminen –, durch faire Preise und faire Standards den Afrikanerinnen und Afrikanern faire Bedingungen zu geben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Notwendig ist auch, einen EU-Investitionspakt von mindestens 50 Milliarden Euro aus privaten Investitionen in den nächsten Jahren zu mobilisieren. Dazu werden wir zum EU-Afrika-Gipfel einen Vorschlag machen. Ebenso wichtig ist der Green New Deal. Der Green New Deal Brüssels braucht einen Afrika-Pfeiler. Wer meint, den Klimaschutz allein in Europa bewältigen zu können, der liegt falsch. Afrika und die Entwicklungs- und Schwellenländer sind der Schlüssel für globalen Umweltschutz.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir müssen auch in Ausbildung investieren. Einer der Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist die Stärkung der Landwirtschaft. Ein Bevölkerungswachstum in Afrika ist ohne Hunger möglich. Die afrikanischen Länder haben das Potenzial, ihre Menschen selbst zu ernähren. Afrika hat das Potenzial; wir können Technologie und Ausbildung liefern. Es ist möglich: ein Afrika ohne Hunger. Wir dürfen nicht nur an uns selbst denken. – Das hat der Außenminister eben schon dargestellt. Darum kürze ich diese Passage meiner Rede.
Diese Pandemie ist eine weltumfassende Pandemie, eine Polypandemie. In Afrika haben wir die Situation, dass Millionen von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Der Lockdown hat verhindert, dass Medikamentenlieferungen zu den Menschen kommen. Dort sterben dieses Jahr nach Schätzungen von UN-Experten bis zu 2 Millionen Menschen am Lockdown, weil keine Medikamente für die Behandlung von Malaria, Tuberkulose und HIV zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren.
Das Vakzin, der Impfstoff, ist ein globales Gut. Das müssen wir deutlich unterstreichen.
(Beifall der Abg. Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU])
Covid trifft die Ärmsten der Armen am härtesten. Deshalb ist es großartig, dass die Kanzlerin, dass Deutschland, dass Sie, dass wir vorausgehen: 8,2 Milliarden Euro im letzten und in diesem Jahr, die Deutschland in Covax und eine globale Impfaktion investiert.
Aber die Ausgangslage – das zum Schluss – ist nicht befriedigend. Etwa 70 Prozent der verfügbaren Impfstoffmengen gehen an Industrieländer, in denen rund 16 Prozent der Weltbevölkerung leben; das ist die Momentaufnahme. Erst fünf afrikanische Länder haben überhaupt Impfstoff; das ist absolut nicht befriedigend. Und es fehlen 5 Milliarden Dollar für das Welternährungsprogramm. Mit dem Friedensnobelpreis ist es nicht getan. Wir müssen 5 Milliarden Dollar dafür aufbringen, dass die Menschen im Rahmen dieses Lockdowns nicht verhungern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
Und – Herr Präsident, ich muss das hier nennen –:
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin!)
8 Milliarden Euro von Deutschland, von der internationalen Gemeinschaft fehlen noch 25 Milliarden Dollar, um 20 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern Zugang zum Impfen zu bieten. Daran darf es finanziell nicht scheitern. 25 Milliarden!
Meinen herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)