Ralph Brinkhaus: Nachhaltigkeit fängt nicht in der Politik an, sondern bei jedem Einzelnen
Redebeitrag in der einführenden Generaldebatte zur Nachhaltigkeit
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Es ist in der Tat eine ungewöhnliche Debatte, die wir jetzt führen. Es sind ungewöhnliche anderthalb Tage. Normalerweise sprechen wir, wenn wir hier sitzen, über Gesetze, über den Haushalt, manchmal auch über aktuelle Ereignisse. Aber dass wir uns jetzt vorgenommen haben, anderthalb Tage über die Zukunft, über die weite Zukunft zu sprechen, über Dinge zu sprechen, die uns selbst vielleicht gar nicht mehr betreffen, sondern kommende Generation betreffen, das ist mehr als bemerkenswert.
Ich glaube, in einer Zeit des seriellen Alarmismus, wo man jede Woche ein Thema hat, dazu drei Talkshows, fünf Leitartikel und in der nächsten Woche wieder ein neues Thema, ist es gut und richtig, dass der Deutsche Bundestag auch einfach mal die langen Linien zieht. Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich glaube, wenn wir bei dem einen oder anderen Thema die langen Linien früher gezogen hätten, dann hätten wir jetzt nicht Alarmentscheidungen treffen müssen, egal ob im Bereich Migration oder Klima. Ich denke, es tut uns allen gut, auch einmal ein wenig langfristiger zu denken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es wurde im Vorfeld der Debatte geschrieben: Ja, jetzt treffen die sich, und dann reden die dann einfach mal. Was soll das überhaupt? – Also, erstens ist das nicht richtig; darauf werde ich gleich noch kommen. Und zweitens: Wo, wenn nicht hier im freigewählten deutschen Parlament und im Deutschen Bundestag, ist denn eigentlich der Ort für langfristig ausgerichtete gesellschaftliche Debatten? Natürlich müssen wir vor jeder demokratischen Entscheidung hier diskutieren und vielleicht auch mal fernab von konkreten Gesetzen diskutieren, meine Damen und Herren. Ich denke, das ist sehr, sehr wichtig. Deswegen ist es gut, dass wir diese langen Linien ziehen; deswegen ist es gut, dass wir jetzt über Nachhaltigkeit sprechen.
Ich möchte das verbinden mit einem ganz dicken Dankeschön an unseren Koalitionspartner, Kollege Miersch. Wir haben uns ganz, ganz schnell geeinigt, dass das wichtig ist und wir das zusammen auf den Weg bringen wollen. Wir mussten da aber auch Überzeugungsarbeit leisten.
Ich möchte mich aber auch ausdrücklich bei der Opposition bedanken; denn Sie haben das Thema wirklich angenommen. Sie haben eine Vielzahl von Anträgen gestellt. Sie werden verstehen, dass ich die notwendigerweise nicht alle gut finde. Aber das macht die Debatte ja aus, dass man intensiv versucht, mit Anträgen irgendwelche neuen Entwicklungen anzustoßen. Deswegen ganz, ganz herzlichen Dank an die Opposition und an unseren Koalitionspartner, dass es möglich ist, jetzt anderthalb Tage lang diese Debatte zu führen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir haben ganz bewusst das Thema Nachhaltigkeit gewählt, das weiter gegriffen ist – zumindest analog den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen – als das Thema Klima. Das soll das Thema Klima, liebe Kolleginnen und Kollegen, überhaupt nicht kleinmachen; denn ich glaube, es ist ein entscheidendes und wichtiges Thema. Ich glaube, wir haben dort mehr gemacht, als das manchmal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Aber wir haben – und da beißt die Maus keinen Faden ab – auch noch nicht genug gemacht, und wir waren nicht schnell genug. Deswegen wird das Thema Klima natürlich eine zentrale Rolle spielen.
Aber ich habe mal gesagt: Klimapolitik ist mehr als Dekarbonisierung, Umweltpolitik ist mehr als Klimapolitik, und Nachhaltigkeitspolitik ist mehr als Umweltpolitik. Ich glaube, diesen breiten Fokus, den sollten wir auch haben, und wir sollten ganz klar sagen: Klar ist Dekarbonisierung wichtig. Überhaupt kein Widerspruch! Aber wenn wir über Klima reden, müssen wir auch über Resilienz reden, über neue städtebauliche Konzepte, über eine neue Wasserwirtschaft oder – wie wir das in dieser Woche sehr, sehr intensiv tun – über den Wald. Das heißt, da gibt es ganz, ganz viele Punkte.
Wenn wir über Umweltpolitik reden, dann geht es natürlich nicht nur um Klima, sondern da geht es um Biodiversität, da geht es um Effizienz und Kreislaufwirtschaft und auch darum, was unsere Umwelt mit ihren Veränderungen für die Gesundheit des Menschen macht; denn der Mensch muss immer im Mittelpunkt unserer Politik stehen.
Nachhaltigkeit sind so unendlich viel mehr Themen als Umwelt; das zeigen ja die Nachhaltigkeitsziele. Es geht um Armut, es geht um Gerechtigkeit, es geht um Teilhabe, es geht um Bildung, es geht um neue Technologien, ja, und es geht auch um finanzielle Solidität. Es hört nicht jeder so ganz gerne, dass das auch was mit Nachhaltigkeit zu tun hat; aber das ist in der Union unser entsprechender Ansatz auch in der Haushaltspolitik. Also: Nachhaltigkeit ist ein ganz, ganz weites Thema, ein ganz, ganz weites Feld.
Wir haben politische Instrumente, mit denen wir dieses Feld bearbeiten können. Ich möchte das am Beispiel Klima deutlich machen. Wir haben natürlich Verbote und Regulierungen; gefällt uns als Union nicht ganz so gut. Wir wissen aber auch, dass es Situationen gibt, wo nur Verbote und Regulierungen helfen. Was wir als Partei der sozialen Marktwirtschaft viel, viel besser finden, sind natürlich Marktinstrumente, ist Wettbewerb; das ist richtig gut. Deswegen haben wir uns ja auch beim Klimapaket dafür eingesetzt, dass wir den Zertifikatehandel auf weitere Bereiche ausdehnen.
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Wir würden uns wirklich wünschen, dass die Europäische Union diesem Weg folgt, weil wir glauben: Markt ist das effizienteste Mittel, um hier etwas zu erreichen.
Im Schlepptau des Marktes gibt es Technologie und Innovation. Ich glaube, gerade im Bereich „Kampf gegen den Klimawandel“ können wir unglaublich viel erreichen, wenn wir uns nicht einengen, sondern technologieoffen sind, wenn wir auch über Wasserstoff und viele, viele andere Sachen reden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Um die Debatte jetzt nicht alleine aufs Klima zu fokussieren: Technologie ist eine Lösung auch für viele Bildungsfragen. Wir haben jetzt in der Pandemie eins gelernt: dass Bildung digitaler werden muss. Das verschafft ganz neuen Schichten Zugang zu Bildung. Das gibt uns übrigens auch die Möglichkeit, dass wir viel individueller auf das einzelne Kind, auf den einzelnen Menschen eingehen können. Deswegen sollten wir weniger über Regulierung sprechen, sondern wir sollten mehr über Technologie und Innovation sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt muss man aber in der ganzen Nachhaltigkeitspolitik natürlich eins im Blick behalten, und auch das möchte ich am Beispiel Klima erläutern: Wir müssen aufpassen, dass aus Nachhaltigkeit, dass aus Klimapolitik kein Elitenprojekt wird. Wir haben als Union den Anspruch, dass wir Nachhaltigkeits‑, Umwelt- und Klimapolitik machen, die genauso getragen wird vom Autoarbeiter im Saarland, der am Verbrennungsmotor arbeitet, wie vom Lehrer, der in Prenzlauer Berg wohnt. Das ist das Entscheidende: dass wir alle irgendwo mit einbinden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Warum ist das entscheidend? Das kann ich genau sagen: weil wir aufpassen müssen, dass wir über dieses Thema nicht Verlierer produzieren und die Gesellschaft spalten. Wir müssen aufpassen, dass wir über eine Spaltung der Gesellschaft nicht in eine Situation hineinlaufen, wo bei eventuellen Regierungswechseln das Nachhaltigkeitskonzept, das langfristig ist, wieder komplett infrage gestellt wird. „Rein und raus“ funktioniert bei Nachhaltigkeit nicht, meine Damen und Herren. Wir müssen da die lange Linie ziehen. Dafür brauchen wir eine breite gesellschaftliche Mehrheit.
Und wir müssen vor allen Dingen auch auf eins achten: Nachhaltigkeit fängt nicht in der Politik an, sondern bei jedem Einzelnen. Das hat was mit Eigenverantwortung zu tun; im Englischen würde man sagen „ownership“. Aber dafür müssen wir die Breite der Bevölkerung mitnehmen. Wir können nicht sagen: Diejenigen, die das momentan nicht wollen, die sollen das mal irgendwann lernen, und wir werden es ihnen beibringen. – Deswegen sind wir als Union vielleicht manchmal etwas langsamer als andere. Aber wir sind sehr inklusiv bei der Sache. Wenn wir irgendwo einen Weg gehen, dann sehen wir zu, dass wir die meisten in der Bevölkerung hinter uns haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Strich drunter. Was soll von diesen anderthalb Tagen bleiben? Abgesehen von den Anträgen, die wir gestellt haben – auch hier noch mal herzlichen Dank an unseren Koalitionspartner –, die Sie gestellt haben, abgesehen davon, dass wir viele, viele Anregungen mitnehmen für unsere Ausschussarbeit in den nächsten zwölf Monaten, ist mir wichtig, dass Folgendes bleibt:
Erstens denke ich mal, dass wir auf Sicht – das werden wir nicht sofort schaffen – alle Gesetze daraufhin überprüfen sollten, welchen Nachhaltigkeitseffekt sie haben. Wir sollten diese Legislaturperiode dazu nutzen, die entsprechenden Verfahren festzulegen, und wir sollten in der nächsten Legislaturperiode damit anfangen, den Generationengerechtigkeitscheck für jedes Gesetz vorzunehmen, das wir auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zweitens bin ich der Meinung, wir als Parlament müssen uns mehr als Controlling-Instanz verstehen, als das in der Vergangenheit vielleicht der Fall war. Wir haben Nachhaltigkeitsziele, und wir haben Gesetze auf den Weg gebracht; jetzt müssen wir auch überwachen, was aus diesen Nachhaltigkeitszielen wird. Deswegen möchten wir, dass die Bundesregierung mindestens einmal – besser wäre noch öfter – in einer Legislaturperiode einen Bericht vorlegt, wie es um die Nachhaltigkeitsziele steht, wie weit wir gekommen sind, damit wir als Parlament dann auch entsprechend gegensteuern können.
(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der dritte Wunsch ist – das hängt damit zusammen, Herr Krischer –: Wenn wir uns mit diesem Thema beschäftigen, sollten wir das nicht donnerstagabends um 22.30 Uhr machen.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Vielmehr sollten wir das wirklich ins Zentrum unserer Debatten stellen und versuchen, einen Mechanismus zu etablieren und analog zu den Haushaltswochen, für die wir uns zwei Wochen im Jahr Zeit nehmen, auch Nachhaltigkeitswochen hier im Deutschen Bundestag einzuführen.
Jetzt sind es anderthalb Tage; das hat ein bisschen was mit der Pandemie zu tun, das hat ein bisschen was damit zu tun, dass wir noch am Anfang sind und lernen, wie so was geht. Aber ich möchte, dass aus diesem Lernen etwas Großes wird und dass für kommende Legislaturperioden absolut klar ist: Einmal im Jahr beschäftigt sich der Deutsche Bundestag intensiv und nachhaltig mit Nachhaltigkeit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Träger [SPD])