Thorsten Frei: Wir müssen deutlich machen, dass wir es mit einem internationalen und europäischen Problem zu tun haben
Redebeitrag zu Konsequenzen aus dem Brand in Moria
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, diese Brandkatastrophe auf Lesbos – wir haben die Bilder von rauchenden Trümmern und verzweifelten Gesichtern gesehen – lässt niemanden von uns kalt. Und es ist selbstverständlich, dass in dieser Situation beherzt, schnell, umfassend geholfen werden muss. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung bereits wenige Stunden nach diesem Brand der griechischen Regierung umfassende Hilfe angeboten hat. Die griechische Regierung hat diese auch angenommen und sagt uns jetzt, wo wir schnell und unmittelbar helfen können, damit die Menschen etwas zu essen haben, damit sie ein Dach über dem Kopf haben, damit die entsprechende Infrastruktur, die für ein menschenwürdiges Leben notwendig ist, vorhanden ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieser Debatte liegt ja ein Antrag der Fraktion Die Linke zugrunde. Sie schlagen vor, dass wir 13 000 Menschen aus Lesbos aufnehmen sollen.
(Michel Brandt [DIE LINKE]: Richtig! Das ist das Mindeste!)
Und ich sage Ihnen eines: Wer das tut, wer einen deutschen Alleingang vorschlägt, der sorgt dafür, dass wir bei unserem Bestreben, zu einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zu kommen, nicht vorwärtskommen werden,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
und zwar aus zwei Gründen – ich will sie Ihnen gerne nennen –: Wir müssen doch deutlich machen, dass wir es mit einem internationalen und europäischen Problem zu tun haben und nicht mit einem deutschen.
(Michel Brandt [DIE LINKE]]: Das machen Sie doch schon seit drei Jahren deutlich! Folgt nur nichts raus!)
Das bedeutet, dass sich andere nicht zurücklehnen dürfen, vielmehr brauchen wir einen europäischen Geleitzug. Und jetzt will ich an Ihre Adresse mal Folgendes sagen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Frei, akzeptieren Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Hänsel?
Thorsten Frei (CDU/CSU):
Ja, gerne.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Frei, wir haben hier schon mehrfach über die Situation in Moria diskutiert. Darauf möchte ich auch noch mal hinweisen – etliche Kollegen haben es schon gesagt –: Wir reden hier seit Jahren über diese Situation. Ich bin auch regelmäßig dort. Wir haben Sie ständig gewarnt: So kann es nicht weitergehen.
Sie erkennen die Situation gar nicht. Sie sagen, dass es darum geht, dass die Menschen wieder ein Dach über dem Kopf haben usw. Die Menschen schlafen auf der Straße, und sie brauchen jetzt Unterstützung. Und ich kann Ihnen von meinem letzten Besuch sagen: Die griechische Inselbevölkerung auf Lesbos wird die Situation auch nicht mehr akzeptieren. Es werden dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Alle Straßen sind blockiert. Sie erkennen die Dramatik dieser Situation überhaupt nicht. Sie müssen die Flüchtlinge, um deren Leib und Leben zu schützen, aus Lesbos, aus Moria rausholen. Das ist wirklich ein Appell! Das kann so nicht funktionieren.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Abschließend möchte ich Sie fragen: Wie kann es sein, dass die Bundesregierung bei dem EU-Türkei-Deal vorangegangen ist – sie hat die Initiative ergriffen, diesen EU-Türkei-Deal entwickelt und als deutsche Initiative in die EU eingebracht –, aber jetzt nicht fähig ist, voranzugehen? Dieses System, das auf die Idee der Bundesregierung zurückgeht, ist gescheitert. Die Bundesregierung muss jetzt auch die Konsequenzen tragen und die Menschen hierherholen. Es ist aufgrund dieses EU-Türkei-Deals die Verantwortung der Bundesregierung.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Kuffer [CDU/CSU]: Unverantwortliche Schaufensterpolitik!)
Thorsten Frei (CDU/CSU):
Frau Kollegin Hänsel, ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Die Bundesrepublik Deutschland und auch die Europäische Union haben in den vergangenen Jahren enorm geholfen. Seit 2016 sind 2,6 Milliarden Euro europäisches Geld nach Griechenland geflossen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon haben die Kinder, die jetzt in Moria auf der Straße schlafen müssen, gar nichts!)
Deutschland hat im Dezember Hilfe in Höhe von 1,6 Millionen Euro geleistet, im April 2,4 Millionen Euro. Wir haben in unterschiedlichen Bereichen geholfen, zeitweise waren zwei Drittel der EASO-Beamten in Griechenland Deutsche. Wir haben dabei geholfen, dass die Verfahren beschleunigt werden können; wir haben für Feldbetten, Zelte, Nahrungsmittel, Medikamente und vieles andere gesorgt, und das tun wir auch weiterhin.
Zu Ihrer Frage: Geht Deutschland voran, ja oder nein? Ja, wir gehen voran, wenn es darum geht, zu einer gemeinsamen europäischen Lösung zu kommen. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Die Bundesregierung hat bereits im Februar dieses Jahres eine abgestimmte Position und Forderungen für die Weiterentwicklung des GEAS vorgelegt. Es war der Bundesinnenminister, der mit seinen Kollegen aus Frankreich, aus Italien, aus Spanien gemeinsam an die Kommission geschrieben hat und dringend gebeten hat, dass endlich diese Vorschläge vorgelegt werden. Sie sind im März das erste Mal angekündigt worden und wurden dann immer wieder verschoben. Jetzt hoffen wir, dass sie wenigstens am 30. September kommen, damit wir in unserer Ratspräsidentschaft wenigstens die politischen Schlussfolgerungen daraus ziehen können.
Deutschland ist vorangegangen, auch in der konkreten humanitären Hilfe. Wer war es denn, der gemeinsam mit Malta, Italien und Frankreich dafür gesorgt hat, dass die Seenotflüchtlinge aufgenommen werden? Es war der Bundesinnenminister,
(Michel Brandt [DIE LINKE]: NGOs kriminalisiert!)
der das gemacht hat. Deutschland ist vorangegangen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das sollten Sie, wenn Sie die Lage beschreiben und beurteilen, mit einbeziehen. Seit 2015 hat Deutschland 1,8 Millionen Migranten aufgenommen, 41 Prozent der Migranten in Europa. Sie können sich doch nicht hierhinstellen und sagen: Deutschland geht nicht voran, Deutschland wird seiner Verantwortung nicht gerecht. – Nein, wir tun das. Es war in der Vergangenheit so, und es wird auch zukünftig so bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer wirklich helfen will in der Situation, der muss dafür sorgen, dass das Türkei-EU-Abkommen ertüchtigt wird,
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Michel Brandt [DIE LINKE]: Das hat die Zustände auf den griechischen Inseln erst ermöglicht!)
dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Flüchtlinge in der Türkei menschenwürdig untergebracht werden, dass die Türkei tatsächlich Ablandungen verhindert und dass auch auf den griechischen Inseln menschenwürdige Verhältnisse herrschen. Darauf kommt es an.
Und Sie müssen doch bei all dem, was Sie fordern, auch an die Folgen denken. Wenn Sie das nicht machen, wenn Sie unterschiedslos Ad-hoc-Aufnahmen machen, dann führt das doch im Kern dazu, dass es nicht nur ein neues zweites Moria, sondern auch ein drittes Moria geben wird. Das Problem Ihrer Politik ist doch, dass Sie keine Probleme lösen, sondern dass Sie neue Probleme schaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir nehmen Ihr „C“ ernst!)
Deshalb sind Sie auf dem Holzweg.
Ich will Ihnen an dieser Stelle noch eines sagen: Ich habe die letzten Tage immer wieder gelesen, dass der Bundesinnenminister aufgefordert wird, dass er den Ländern Thüringen und Berlin erlauben soll, Landesaufnahmeprogramme zu machen. Ich bin dem Bundesinnenminister sehr dankbar dafür, dass er das nicht gemacht hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Erstens ist § 23 des Aufenthaltsgesetzes mutmaßlich gar nicht einschlägig, und zum Zweiten ist es so, dass für die Migrationspolitik natürlich nur der Bund zuständig sein kann, weil ja auch die Herausforderungen und Lasten, die mit der Migration verbunden sind, deutschlandweit gelöst werden müssen; das ist insbesondere auch bei der Finanzierung der Fall.
(Zuruf von der LINKEN)
Jetzt will ich Ihnen noch das Entscheidende sagen: Wenn Sie ein Landesaufnahmeprogramm nach § 23 Aufenthaltsgesetz machen, dann folgt daraus sofort ein Aufenthaltstitel.
(Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das bedeutet im Klartext, es findet kein Asylverfahren mit der Prüfung der Schutzbedürftigkeit statt. Da zeigt Rot-Rot-Grün, worum es Ihnen geht: Sie wollen nicht Asylbewerber aufnehmen, Sie wollen unterschiedslos alle Menschen, die hierherkommen wollen, aufnehmen.
(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)
Damit lösen Sie keine Probleme, nicht bei uns, nicht in Griechenland und auch sonst nirgendwo.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kommen Sie uns nie wieder mit dem demografischen Wandel!)
Das wäre das Zeichen „Der Weg nach Zentraleuropa und Deutschland ist offen“, das wäre eine Einladung an alle, die auf gepackten Koffern sitzen. Das ist eine verantwortungslose Politik, die Sie hier propagieren. Deswegen werden wir Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] – Zurufe von der LINKEN – Zuruf der Abg. Ute Vogt [SPD])