Ralph Brinkhaus: Wir nationalen Parlamentarier sind Bestandteil des Entscheidungsprozesses, wie dieses Europa gestaltet wird
Redebeitrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft
Der freut sich so, Herr Präsident, dass wir jetzt die europäische Ratspräsidentschaft haben, dass er es gar nicht erwarten kann, zu reden. – In der Tat: Die Ratspräsidentschaft ist für uns alle eine großartige Gelegenheit, übrigens nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für die Parlamente.
Ich hatte gestern eine dieser Vorbereitungssitzungen auf parlamentarischer Ebene zur Ratspräsidentschaft. Da sagte ein Kollege aus dem Europäischen Parlament – ein netter Kollege –: Ihr nationalen Parlamentarier seid ja wichtig; ihr seid die Botschafter von dem, was wir in Brüssel beschließen. – Da habe ich gesagt: Nein, so ist das nicht; wir als nationale Parlamentarier sind nicht die Botschafter von dem, was in Brüssel beschlossen wird, sondern wir sind Bestandteil des Entscheidungsprozesses, wie dieses Europa gestaltet wird. – Das nehmen wir uns als Parlament auch heraus. Deswegen werden wir mitgestalten bei den wichtigen Fragen, die jetzt zu klären sind. Das ist nicht nur die Überwindung der Coronapandemie, das ist nicht nur der mehrjährige Finanzrahmen, das ist nicht nur der Kampf gegen den Klimawandel, sondern beispielsweise auch die Frage eines gemeinsamen Konzepts zur Bewältigung der Migrationsfragen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Im Übrigen ist es auch ein schönes Projekt für die Bundesländer. Deswegen bin ich froh, dass zumindest ein Ministerpräsident heute hier auf der Bundesratsbank sitzt. Herzlich willkommen, Armin Laschet!
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es wäre schön, wenn angesichts der Europadebatten, die für dieses Land sehr wichtig sind, hier auch einmal der eine oder andere Ministerpräsident sitzen würde. Ich sehe hier auf der Bundesratsbank Vertreter von genau zwei Ländern. Da könnte noch ein bisschen mehr gemacht werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Hat vielleicht auch andere Gründe!)
Es ist insgesamt so: Wir haben große Fragen zu klären – überhaupt keine Frage. Wir werden auch viel über Geld reden müssen. Es ist auch gerade wieder viel über Geld geredet worden – von Herrn Schulz, von Herrn Lindner, von vielen anderen. Das ist auch wichtig. Wir werden als Union darauf achten, dass das Geld angemessen ausgegeben wird, dass es richtig ausgegeben wird. Wir werden darauf achten, wer zahlt. Wir werden aber auch darauf achten, wer zurückzahlt und dass das Ganze zurückgezahlt wird. Denn mit der neuen Generation Europas, wie es Ursula von der Leyen bezeichnet hat, muss auch ein Europa der Generationengerechtigkeit einhergehen. Es kann nicht sein, dass Konsumausgaben der Gegenwart in diesem Europa auf nachfolgende Generationen verlagert werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist auch wieder darüber gesprochen worden, dass europäische Institutionen gestärkt werden müssen, Herr Schulz. Das ist auch alles richtig; das ist überhaupt keine Frage. Aber glauben Sie, dass das der Geist von Europa ist? Glauben Sie, dass das die Menschen von Helsinki bis Valletta motiviert, an dieser europäischen Idee, an diesem europäischen Projekt zu arbeiten, wenn wir immer wieder über Geld und über Macht von Institutionen sprechen, wenn wir darüber sprechen, wer in diesem Europa welchen Posten kriegt? Schauen wir uns doch einmal an, wie die Debatte in den letzten Jahren war. Ich glaube, wir müssen diese Ratspräsidentschaft nutzen, Frau Bundeskanzlerin, um eine Renaissance der europäischen Idee hervorzurufen, um uns wieder klarzumachen, warum wir dieses Europa überhaupt wollen, warum dieses Europa wichtig ist. Das ist mehr als ein Binnenmarkt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn wir uns mit Europa beschäftigen – ich habe einmal versprochen, dass ich es in jeder europäischen Debatte an dieser Stelle sagen werde –, dann müssen wir auch darüber reden, dass Europa das größte und erfolgreichste Friedensprojekt dieser Welt ist. Jean-Claude Juncker soll einmal gesagt haben
(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])
– da hören Sie einmal gut zu! –: All diese Kosten, die wir für dieses Europa haben, sind billiger als eine Sekunde Auseinandersetzung oder Krieg. – Das gehört auch zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist aber schwer zu erklären. Wir leben hier in Kerneuropa seit 75 Jahren in Frieden. Wir haben vergessen, wie dünn das Eis ist, auf dem wir stehen. Wir haben vergessen, wie schwierig es ist, Frieden auch unter europäischen Ländern zu halten. Deswegen müssen wir das immer wieder klarmachen. Und natürlich: Die gemeinsame europäische Idee, das ist der Binnenmarkt; das ist keine Frage. Aber das ist auch zu wenig.
Ich glaube, wir müssen uns noch mit einer dritten Dimension beschäftigen – es ist in Ihrer Rede, Herr Schulz, und in der Rede der Bundeskanzlerin angeklungen; es ist übrigens auch das große Mantra des französischen Präsidenten Macron –: die europäische Souveränität. Meine Damen und Herren, wenn wir hier als Parlamentarier weiter über das Schicksal dieses Landes und dieses Kontinentes bestimmen wollen, wenn wir selbstbestimmt und selbstbewusst sein wollen, dann müssen wir uns einer Tatsache gewahr werden: dass die Welt sich in den letzten Jahren verändert hat. Ich glaube, selbst wir Deutsche als viertgrößte Volkswirtschaft auf dieser Welt sind zu klein, um auf Augenhöhe mit China, mit Russland und mit den Vereinigten Staaten zu spielen. Wenn das für uns als viertgrößte Volkswirtschaft gilt, inwiefern gilt das dann für kleinere Länder, für Portugal, für Griechenland und auch für Bulgarien und Rumänien? Deswegen haben wir doch nur eine Chance: Wir haben nur die Chance, als Europäer gemeinsam zu agieren. Allein das ist schon dieses Europa wert.
Wir sehen doch, welcher Druck in der Vergangenheit ausgeübt worden ist. Da heißt es: Wehe, wenn ihr diese Pipeline baut. Da heißt es: Wehe, wenn ihr unsere Menschenrechtssituation ansprecht. Da heißt es: Wehe, wenn ihr verhindert, dass Unternehmen und Technologien aufgekauft werden.
Die europäische Souveränität, die unsere Gründerväter und ‑mütter nicht im Sinn hatten, ist entscheidend für die Europäische Union. „Souveränität“ heißt, dass wir stark genug sind, gemeinsam als Europäer unsere Interessen zu vertreten. Deswegen wäre es mir wichtig, dass wir während unserer Ratspräsidentschaft auch darüber reden, wie wir eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik organisieren können. Wir können das als Deutsche nicht mehr alleine.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn wir über Souveränität reden, müssen wir auch über kritische Infrastruktur und über Technologien reden. Sind wir in der Lage, unsere Mobilfunk- und Energienetze mit eigener Technik auszubauen? Sind wir in der Lage, unsere Schlüsseltechnologien im Bereich Quantencomputer oder künstliche Intelligenz in Europa unabhängig zu betreiben? Dabei geht es nicht um Autarkie – ich bin ein großer Freund davon, dass wir eine arbeitsteilige globalisierte Welt haben –, sondern es geht darum, dass wir nicht abhängig sind. Wie ist es mit den Abhängigkeiten im Rohstoffbereich? Wir haben in der Coronakrise gemerkt, dass bestimmte Medikamente oder Grundstoffe für Medikamente nur noch aus bestimmten Regionen dieser Welt kommen. Auch das ist ein Grund, das europäische Projekt weiterzuentwickeln. Es geht um Souveränität.
Ich habe damit begonnen, dass wir als nationale Parlamente uns auf die Ratspräsidentschaft freuen. Wir möchten mitgestalten, und natürlich möchten wir auch mitentscheiden, Frau Bundeskanzlerin. Damit verbunden ist die Frage: Wo ist der Anfang, wo ist das Ende der Souveränität? Wenn wir als Parlament national souverän sein sollen – das geht an die Adresse des einen oder anderen, der nationale Souveränität immer ganz nach vorne stellt –, dann können wir das nur erhalten, wenn wir gemeinsam europäisch handeln.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie jetzt dafür?)
Es ist wichtig, dass wir die Ratspräsidentschaft nicht nur dafür nutzen, die Coronapandemie zu überwinden – was schwierig genug ist –, sondern wir sollten die Ratspräsidentschaft auch dafür nutzen, gemeinsam das europäische Projekt weiterzuentwickeln. Es ist für uns eine Überlebensfrage.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Das war nicht so dolle!)