Alexander Dobrindt: Wir haben eines der besten Sozialsysteme weltweit
Generaldebatte Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Epl. 04)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein starkes Land. Das zeigt sich nicht nur in den Haushaltszahlen, sondern es zeigt sich auch daran, dass die Wirtschaft boomt, die Wachstumsprognosen positiv sind, die Beschäftigung auf dem höchsten Stand seit 25 Jahren ist. Wir haben eines der besten Sozialsysteme weltweit,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wahr!)
wir machen keine neuen Schulden und investieren gleichzeitig auf Rekordniveau.
(Otto Fricke [FDP]: Nein, ihr seid unter Rekordniveau!)
Das ist natürlich auch die Bilanz von 13 Jahren Unionsregierung, von 13 Jahren christlich-sozialer Politik in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Stärke verpflichtet. Sie verpflichtet in hohem Maße, und zwar dazu, dass dieser wirtschaftliche Erfolg allen Menschen in Deutschland zugutekommt. Alle müssen und sollen von dieser wirtschaftlichen Stärke profitieren. Sie verpflichtet uns dazu, dass wir Familien unterstützen, für gute Renten sorgen, ein Alter in Würde ermöglichen, Investitionen sichern. Sie verpflichtet uns natürlich auch zu humanitärer Verantwortung für diejenigen, die wirklich verfolgt sind und Hilfe benötigen. Sie verpflichtet uns dazu, dafür zu sorgen, dass alle am Wohlstand in unserem Land teilhaben können. Dieser Haushaltsentwurf wird dem in weiten Teilen auch gerecht.
Es ist ein Haushalt der Stärke, der unsere Erfolge in vielen Bereichen weiter fortschreibt. Aber ich sage auch hier klar: Ein Haushalt der Stärke, der verpflichtet auch dazu, dafür zu sorgen, dass man in diesem Land frei und sicher leben können muss. Das heißt: Der Rechtsstaat muss ohne Abstriche zur Geltung kommen. Der soziale Zusammenhalt muss gestärkt werden. Beides – das hat diese Debatte gerade gezeigt – ist gleichermaßen herausgefordert.
Deswegen darf ich schon einmal meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen: dass man manchmal das Gefühl hat, dass die Empörung über die Empörten stärker formuliert wird als die Empörung über eine schreckliche Bluttat, die stattgefunden hat, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es geht darum, dass diese Tat auch mit aller Härte des Rechts verfolgt und bestraft wird. Ich habe Verständnis dafür, dass solche Taten in unserem Land auch zu Empörung führen. Es ist selbstverständlich, dass Menschen dieser Empörung Ausdruck verleihen. Es ist aber genauso selbstverständlich, dass dieser Ausdruck der Empörung die Regeln unseres Rechtsstaats einzuhalten hat. Das, was an radikaler Hetze, Hitlergruß, Anschlag auf ein jüdisches Lokal zu sehen war, darf in unserem Land keinen Millimeter Platz haben. Dem stellen wir uns natürlich entgegen, und zwar politisch wie auch mit allen Mitteln des Rechtsstaats.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Bartsch, ich habe bei Ihnen sehr deutlich zugehört.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau zugehört!)
In Ihrer Rede wollten Sie doch mehr als deutlich darstellen, dass die Migrations- und Flüchtlingsfragen in den vergangenen drei Jahren ganz offensichtlich nicht die Grundlage von einer Vielzahl von Problemen seien. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was wir seit drei Jahren, auch gerade politisch, an Beschäftigung mit dem Thema „Flucht, Fluchtursachenbekämpfung, Migration, Integration“ in diesem Land erleben, ist ein wesentlicher Teil der Problemaufarbeitung.
Sie können einfach mal in Ihre politische Landschaft hineinschauen. Keiner kann heute bestreiten, dass auch die politischen Parteien und das politische System in Deutschland maßgeblich ergriffen sind von der Frage „Migration, Flucht und Integration“. In Ihrer Partei direkt findet gerade das Entstehen einer sogenannten Sammelbewegung statt, mit Unterstützung von Teilen der SPD und der Grünen. Ich glaube nicht, dass das eine Sammelbewegung ist.
(Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist gar keine Bewegung; das ist ein Sammelbecken für linke Sektierer. Aber es ist organisiert aus Ihrer Partei, von Sahra Wagenknecht, und zwar genau auf der Grundlage von Migration, Flucht und Vertreibung und der Debatte und der Probleme, die damit zu tun haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ja, man kann das auch, wie es Katrin Göring-Eckardt beschrieben hat, schlichtweg als Fakt bezeichnen, Migration als Fakt. Liebe Kollegin Göring-Eckardt, das in eine Linie zu stellen mit der Wiedervereinigung und der Digitalisierung, das halte ich für einen ausgesprochen gewagten Vergleich. Wir arbeiten dafür, Flucht und Vertreibung zu verhindern, Fluchtursachen zu bekämpfen, aber auch dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung bei der Zuwanderung herrschen. Ich habe das Gefühl, wenn ich Ihnen genau zuhöre: Es geht Ihnen weniger darum, Recht, Ordnung und Humanität durchzusetzen; Sie wollen mit Ihren Elementen wie zum Beispiel der Untergrenze für Zuwanderung vielmehr schlichtweg Fakten schaffen in diesem Land. Wir wollen aber Recht und Ordnung und keine falschen Fakten schaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Gerade angesichts dieser großen Herausforderungen, über die wir wichtige und notwendige Debatten führen, muss immer deutlich werden, dass wir Deutschland nicht nur als ein Land begreifen, das aus politischen Rändern besteht.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CSU ist aber am rechten Rand!)
Deutschland ist ein Land, das vor allem aus einer Mitte, aus einer politischen Mitte besteht: aus Millionen Menschen, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, aus Millionen junger Menschen, die Familien gründen und Kinder großziehen, aus Unternehmern, die Arbeitsplätze schaffen. Diese Menschen dürfen in den politischen Debatten nicht zur vergessenen Mitte werden, sondern sie müssen im Zentrum unserer Politik stehen. Die Entlastung dieser Bürger und die Teilhabe am Wohlstand sind das Zentrum auch unserer Politik. Das findet sich auch in diesem Haushalt wieder.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dabei geht es um die Entlastung. Diese Entlastung ist dann möglich, wenn wir solide Finanzen haben, wenn wir Rekordsteuereinnahmen haben, wenn wir Möglichkeiten haben, denjenigen etwas zurückzugeben, die dies erwirtschaftet haben. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, „solide Finanzen“ bedeutet nicht, Rekordsteuereinnahmen zu horten,
(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)
„solide Finanzen“ bedeutet, Einnahmen und Ausgaben, Steuern und Entlastungen im Gleichgewicht zu halten. Dieses Gleichgewicht ist noch nicht hergestellt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Was ist die Konsequenz?)
Ich will deutlich sagen: Wer bei den Überschüssen, die wir zu verzeichnen haben, meint, er könnte den Bürgerinnen und Bürgern Entlastungen verweigern, der handelt nicht solide, sondern der handelt leistungsfeindlich. Wir wollen aber Leistungsgerechtigkeit in diesem Land haben.
(Christian Dürr [FDP]: Aber Herr Dobrindt, spielt das überhaupt noch eine Rolle nach der Wahl?)
Das muss auch bei den Steuern und den Entlastungen sichtbar werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir setzen uns für Entlastungen ein. Bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung geht es um eine Absenkung um 0,5 Prozentpunkte, eine Entlastung von etwa 6 Milliarden Euro. Entlastungen ergeben sich zudem durch den Abbau der kalten Progression und der Herstellung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Bei der geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags entlasten wir die Bürger in einer ersten Stufe um 10 Milliarden Euro, der Hälfte des Gesamtvolumens.
Ich bin in der Tat etwas überrascht, wie mit Überschüssen politisch umgegangen und diskutiert wird. Bei Rekordsteuereinnahmen muss man doch darüber reden, an welcher Stelle man zusätzliche Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger durchsetzen kann. Wenn wir darüber reden, dass es kein Tabu sein darf, über die komplette Abschaffung des Soli zu reden, dann sagen uns beispielsweise die Grünen in Gestalt Ihrer finanzpolitischen Sprecherin, es wäre ein Steuergeschenk für die Reichen und Besserverdienenden.
(Christian Dürr [FDP]: Viel spannender wäre, zu wissen, was die Kanzlerin dazu sagt, Herr Dobrindt!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterstelle mal, dass Sie nicht gemeint haben, dass all diejenigen, die von einer Entlastung durch die Abschaffung des Solis profitieren, grundsätzlich zu den Reichen und Besserverdienenden gehören. Möglicherweise war das missverständlich formuliert. Der erste Schritt bei der Abschaffung des Solis entspricht rund 10 Milliarden Euro Entlastung für die Bürger. Der zweite Schritt – die nächsten 10 Milliarden Euro – wäre eine Komplettentlastung der Bevölkerung beim Soli ab circa 60 000 Euro Einkommen. Gehen Sie den ersten Schritt mit uns, haben sie zumindest diejenigen, die unter der Grenze liegen, berücksichtigt. Beim besten Willen, jemand, der in diesem Land 60 000 Euro verdient, der gehört nicht zu den Reichen und Besserverdienenden. Das ist die politische Mitte der Gesellschaft, die wir entlasten wollen. Deswegen muss der Soli auf den Prüfstand.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Soli gehört nicht in die Gehaltsabrechnung der Menschen, er gehört ins Geschichtsbuch dieses Landes.
Wir arbeiten weiterhin an dieser Entlastung und an der Unterstützung der Familien: Kindergelderhöhung wurde angesprochen, Baukindergeld wurde angesprochen. Es gibt übrigens auch Bundesländer, die weit über das hinausgehen, was der Bund leisten kann; Bayern gehört dazu. Beim Pflegegeld, das zusätzlich in Bayern bezahlt wird, hat der Bundesarbeitsminister inzwischen erkannt, dass dies allen zugutekommen soll – unabhängig vom Einkommen. Das ist eine richtige Einsicht; so ist das Pflegegeld konzipiert. Ich verstehe nur nicht ganz, warum er beim bayerischen Familiengeld – das sind 250 Euro im Monat für jedes Kind – zu der Einschätzung kommt, dass dies nicht allen zugutekommen und gerade denjenigen, die am wenigsten Geld im Monat zur Verfügung haben, vorenthalten werden soll. Sehr verehrter Bundesarbeitsminister, das ist nicht meine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Überprüfen Sie mal, ob Sie mit Ihrer Politik nicht genau die Falschen treffen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nur für Bayern?)
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU):
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben eine ganze Reihe von Vorkehrungen in diesem Haushalt getroffen, um dafür zu sorgen, dass unsere Bereitschaft, uns weltweit zu engagieren, zum Ausdruck kommt. Das 2-Prozent-Ziel der NATO wurde erwähnt, das nur durch einen erheblichen Aufwuchs unserer Verteidigungsausgaben zu erreichen ist. Ich bin überrascht, dass sich jetzt der eine oder andere von diesem 2-Prozent-Ziel entfernen will. Wir haben das gemeinsam in der NATO, in einer internationalen Allianz vereinbart. Wir erwarten, dass dieses 2-Prozent-Ziel auch eingehalten wird. Dazu gehört der feste Wille, den Aufwuchs im Verteidigungsetat zu leisten.
Im Haushalt ist eine Menge drin. Es muss aber deutlich nachgebessert werden, wenn wir unsere Bündnisverpflichtungen in der Welt einhalten wollen. Mein und unser Wille ist das. Die Haushaltsberatungen werden zeigen, was dieses erwähnte Finanzmittel, das Volker Kauder angesprochen hat, diese angebliche globale Mehrausgabe, die mir ehrlich gesagt in der Vergangenheit nie untergekommen ist, bedeuten soll. Es ist eine Mehrausgabe für Investitionen, über die der Deutsche Bundestag entscheiden wird und sonst niemand. Wir wollen, dass der Verteidigungshaushalt auch von diesen Investitionen profitiert, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das in Kombination mit einer weiteren Stärkung der Investitionen bei der Entwicklungszusammenarbeit im Haushalt von Minister Gerd Müller sind die Aufgaben, die wir jetzt in den weiteren Beratungen des Bundeshaushalts im Parlament schultern wollen. Ich kann nur sagen: Bei einem Haushalt mit diesem Volumen und diesen Möglichkeiten, die uns die hohen Steuereinnahmen bieten, kann es nur eine Botschaft geben: Die Nettofrage muss wieder oben auf die Agenda – mehr Netto vom Brutto. Das muss die Losung für unsere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sein.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christian Lindner [FDP]: Gut gesprochen, Guido! Mehr Netto vom Brutto! Ich höre Guido Westerwelle! Was richtig ist, bleibt richtig!)