"Alle Probleme mit Erdogan ansprechen"
Der Fraktionschef im Interview mit der Passauer Neuen Presse
Volker Kauder spricht im Interview mit der Passauer Neuen Presse unter anderem über den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Berlin, politische Koalitionen und über das geplante Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz.
Der türkische Präsident Erdogan kommt zum Staatsbesuch nach Berlin. Ist er herzlich willkommen in Deutschland?
Kauder: Die Türkei ist unser NATO-Partner. In der Außenpolitik gibt es derzeit große Herausforderungen. Darüber muss gesprochen werden und schon deswegen ist Präsident Erdogan willkommen. Wir sollten aber alle Probleme ansprechen. Abgesehen von den immer wiederkehrenden Beschimpfungen der Bundesregierung aus Ankara: Ich finde, die türkische Regierung versucht zu sehr, die in Deutschland lebenden Türken oder türkisch stämmigen Deutschen zu beeinflussen. Es muss aber auch um die Menschenrechte und die Religionsfreiheit in der Türkei gehen. Wir wollen eine Partnerschaft mit der Türkei, aber die türkische Regierung ist eben auch ein schwieriger Partner. Trotzdem müssen wir reden - im gegenseitigen Interesse.
Die wirtschaftliche Lage in der Türkei verschlechtert sich weiter. Die türkische Lira stürzt ab. Sollte Berlin Ankara unterstützen?
Kauder: Ich sehe keine Möglichkeit, dass die EU der Türkei über die ohnehin schon laufende Unterstützung hinaus helfen kann. Die Türkei ist eben kein EU-Mitglied. Die Wirtschaftslage der Türkei ist auch auf die Politik der dortigen Regierung zurückzuführen. Nun kommt der Handelskonflikt mit den USA hinzu, der ebenfalls politische Gründe hat. Nun lehnt Präsident Erdogan eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds ab. Man hat den Eindruck, die türkische Regierung vergrößert mit ihrem Kurs die Probleme von Tag zu Tag. Deutschland hat kein Interesse an einer Türkei-Krise. Wahrlich nicht. Solange Präsident Erdogan aber seine Politik nicht ändert, wird es nicht besser werden.
Am Samstag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel Russlands Präsident Vladimir Putin. Sollten wir angesichts der transatlantischen Spannungen jetzt stärker auf Russland zugehen?
Kauder: Wir wollen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Russland. Niemand hat etwas von Spannungen in Europa. Aber Fakt bleibt, dass Moskau auf der Krim und in der Ost-Ukraine das Völkerrecht gebrochen hat. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben gerade die Sanktionen gegen Russland verlängert, weil Moskau die Minsker Vereinbarung für die Ost-Ukraine nicht ausreichend umsetzt. Dennoch müssen wir mit Russland weiter reden vor allem über die Lage in Syrien. Der Krieg muss dort ein Ende finden, damit die Menschen nicht länger aus ihrer Heimat fliehen. Und: Ja, die Zusammenarbeit mit der Regierung von Präsident Trump ist sicher nicht einfach. Aber es wäre fatal, sich deswegen Präsident Putin anzunähern. Nur weil es Trump gibt, wird Putin nicht zum Heilsbringer.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, ihr Parteifreund Daniel Günther, hat einen pragmatischen Umgang „ohne Scheuklappen“ mit der Linkspartei empfohlen bis hin zu gemeinsamen Koalitionen. Ist es Zeit für solche Debatten und Tabubrüche?
Kauder: Ich schätze Daniel Günther und er hat eine große politische Zukunft. Mit dieser Aussage lag er aber daneben. Es kann keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei geben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat einen Beschluss, dass es mit der Linksfraktion im Bundestag keine gemeinsamen inhaltlichen Anträge geben kann. Zwischen der Linkspartei und der Union liegen in allen Politikbereichen Welten. Allein deren Vorstellungen in der Außen- und Innenpolitik sind abenteuerlich. Die Linkspartei kann kein Koalitionspartner für die Union sein.
Die AfD legt weiter zu. Wie wollen Sie die Rechtspopulisten wirksam bekämpfen?
Kauder: Wir müssen schlicht eine gute Politik machen und uns um die Probleme der Menschen kümmern. Das ist nicht nur die Migrationspolitik. Bezahlbarer Wohnraum wird gerade in den Ballungsgebieten zu einer immer größeren Herausforderung. Da handeln wir. Aber auch die Länder müssen beim sozialen Wohnungsbau besser mitziehen. Die Infrastruktur für das schnelle Internet muss schnell ausgebaut werden. Die Digitalisierung ist im vollen Gange. Die AfD hat zu diesen wichtigen Zukunftsfragen nichts zu melden. Wenn wir die Probleme lösen, werden die Extremisten von Links und Rechts wieder verschwinden. Wir müssen auf die Menschen schauen und nicht auf die Konkurrenten gerade am rechten und linken Rand.
Nach der Sommerpause soll der Entwurf für ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz vorliegen. Wie soll die Einwanderung von Arbeitskräften geregelt genau geregelt werden?
Kauder: Die Koalition wird jetzt schnell das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Das ist eines der zentralen Vorhaben in der zweiten Jahreshälfte, da überall in der Wirtschaft Fachkräfte dringend gesucht werden. Dabei sollten wir aber an einer Leitlinie festhalten: Fachkräfte, die zu uns kommen, müssen grundsätzlich eine konkrete Jobzusage haben. Nur dann kommen auch Arbeitnehmer ins Land, die vom ersten Tag an beruflich eingegliedert sind. Auch die Fachkräftezuwanderung muss immer genau gesteuert werden können. Viele in der Wirtschaft hätten gern eine andere Regelung. Man muss aber bedenken, dass wir in der EU auch volle Freizügigkeit haben und aus der EU erfreulicherweise viele Arbeitnehmer nach Deutschland kommen.
Aber es muss doch möglich sein, abgelehnte Asylbewerber zu beschäftigen.
Kauder: Ich halte auch wenig davon, den so genannten Spurwechsel stärker zu erlauben. Natürlich gibt es Einzelfälle, die das Gegenteil nahelegen. Es ist nicht zielführend, abgelehnten Asylbewerbern, die Arbeit haben, in der Regel zu ermöglichen, im Land zu bleiben, auch wenn ihr Antrag abgelehnt ist. In gewissem Umfang lassen wir das schon heute zu. Sollte diese Möglichkeit jedoch ausgeweitet werden, würde dies neue Anreize für Menschen schaffen, es doch zu versuchen, nach Deutschland zu kommen, ohne dass sie verfolgt sind. Das wäre ein Anreiz für die Migration allein aus wirtschaftlichen Gründen. Außerhalb der EU sollten die Menschen Anträge zur Aufnahme von Arbeit in Deutschland immer aus ihrem Heimatland stellen. Das sieht selbst die Regelung vor, die wir mit den West-Balkan-Staaten getroffen haben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Dublin-System für nicht funktionsfähig. Wie könnte eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik aussehen?
Kauder: Wir haben in der Reform der Flüchtlingspolitik in Europa Fortschritte gemacht, aber noch nicht genügend. Das Dubliner Abkommen ist bei seinem Abschluss von viel geringeren Flüchtlingszahlen ausgegangen. Daher wird man auch nicht umhinkommen, es in vernünftiger Art und Weise auf mittlere Sicht zu reformieren. Auch darum geht es gerade in der EU. Einige Länder in der EU wie Spanien, Italien oder Griechenland sind bekanntlich von den Flüchtlingsbewegungen in einem Maß betroffen, wie dies etwa im Jahr 2003 bei Abschluss des zweiten Dublin-Abkommens nicht denkbar war. Wenn ich an die Jahre 2015 und 2016 zurückdenke, gilt das natürlich auch für Deutschland.
Was muss jetzt geschehen?
Kauder: Die EU-Staaten müssen jetzt und auch in Zukunft aber am Grundsatz festhalten, dass ein Flüchtling in dem Land, in dem er ankommt, auch das Asylverfahren durchführen muss. Ansonsten würden sich die Flüchtlinge unkontrolliert durch Europa bewegen. Andere Länder müssen dann bereit sein, Flüchtlinge aufzunehmen oder zumindest die Mitgliedstaaten massiv zu unterstützen, die dies tun. Das ist nach wie vor einer der Dreh- und Angelpunkte. Die Europäer müssen sich solidarisch zeigen, damit Griechenland, Italien und Spanien nicht überfordert werden. Aber es gilt auch: Die EU-Außengrenzen müssen viel besser gesichert werden. Die Grenzschutz-Agentur Frontex muss deutlich ausgebaut werden. Wir brauchen bilaterale Vereinbarungen mit afrikanischen Staaten, damit sich Flüchtlinge gar nicht erst auf den Weg machen oder zurückgeführt werden können.
Bisher gibt es nur eine bilaterale Vereinbarung mit Spanien über Rückführungen an der Grenze…
Kauder: Das Abkommen mit Spanien ist ein Schritt, mehr Ordnung in das europäische Asylsystem zu bekommen. Die Polemik gegen diese Vereinbarung ist völlig daneben. Das sage ich auch in Richtung FDP. In Spanien dürften auch gerade die meisten Flüchtlinge in Europa ankommen. Natürlich brauchen wir zudem ein Abkommen mit Griechenland und Italien.
Der Städtetag und einige Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet schlagen Alarm, beklagen steigende Kosten und auch Missbrauch beim Kindergeld für EU-Ausländer. Sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Kauder: In der Debatte muss differenziert werden. Es geht unter anderem um solche Familien, die mit allen Kindern in Deutschland leben, bei denen der Vater und die Mutter aber unter anderem Scheinarbeitsverhältnissen nachgehen und damit gar keinen Anspruch auf Kindergeld haben. Es ist sehr zu begrüßen, dass die zuständigen Behörden nun die Anstrengungen verstärken, diesen Missbrauch stärker zu bekämpfen. Das ist die wohl eigentlich problematische Fallgruppe. Und dann gibt es die Fälle, in denen die Kinder in der Heimat leben, Vater und Mutter aber in Deutschland arbeiten. Was diese Gruppe angeht, bin ich der Meinung, dass man noch einmal erwägen sollte, ob man das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten in den jeweiligen Herkunftsländern anpasst.
Die EU-Kommission lehnt Änderungen ab und verweist auf europäisches Recht…
Kauder: Die Bundesregierung prüft gerade auf meine Bitte, ob es eine nationale Lösung geben kann. Selbst wenn dies möglich ist, kann man geteilter Meinung sein. Für eine Indexierung spricht, dass das Kindergeld das finanzielle Existenzminimum des Kindes sicherstellen soll. Wie hoch das sein muss, kann aber von Staat zu Staat schwanken. Ich verstehe, dass viele Menschen es als ungerecht empfinden, dass in Länder mit niedrigen Lebenshaltungskosten das verhältnismäßig hohe Kindergeld aus Deutschland fließt.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Debatte über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht und die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht angestoßen. Ein sinnvoller Vorschlag?
Kauder: Die Debatte ist gut. Sie wirft zur rechten Zeit die Frage auf, wie das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat sein soll. Die rechtlichen und praktischen Hürden für eine allgemeine Dienstplicht sind zwar sehr hoch. Die Debatte hat aber zweifelsohne einen Nerv getroffen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für einen solchen Dienst. Das ist von Bedeutung. Wir werden sicher am Ende verschiedene Modelle diskutieren, wie man dem Wunsch entsprechen kann, dass sich mehr junge Leute für den Staat und die Gemeinschaft einsetzen – und diese auch zum Teil durchaus bereit sind, dies zu tun. Die Palette wird von einem echten Pflichtdienst bis zu verbesserten Angeboten für ein freiwilliges Engagement reichen.