Johannes Steiniger: Um Kindergeld zu beziehen, muss man hier beschäftigt sein
Kindergeld für im Ausland lebende Kinder indexieren
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf den Inhalt des Antrags eingehe, möchte ich kurz ein paar Worte zum Vorgehen in dieser Sache sagen.
Sie haben diesen Tagesordnungspunkt letzte Woche ja unter einem falschen Titel eingebracht. Bis gestern hieß der Tagesordnungspunkt noch „Einwanderung in das deutsche Sozialsystem verhindern“.
(Zuruf von der LINKEN: Aha!)
Die Kindergeldindexierung, über die wir jetzt heute diskutieren, hat damit aber gar nichts zu tun.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Natürlich hat das damit zu tun!)
Einen Tag vor der Debatte, also gestern, haben Sie den Namen geändert und erstmals Ihren Antrag veröffentlicht. Erst dann war klar, was wir eigentlich diskutieren wollen. Das war nicht nur schlechter Stil, sondern das war auch nicht patriotisch;
(Jörn König [AfD]: Das machen Sie ständig!)
denn statt dass ich gestern die deutsche Nationalmannschaft anfeuern konnte, habe ich mich mit Ihrem Antrag beschäftigen müssen.
(Zurufe von der AfD: Oh!)
Das Ergebnis ist bekannt: Das Team hat verloren, und durch Ihre Lektüre habe ich auch nur wenig gewonnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Herbrand [FDP]: Die sind schuld!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch auch kein Zufall, dass Sie den Antrag hier in diesem verschleierten Verfahren gerade jetzt einbringen. Das Kalkül ist doch sonnenklar:
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sagen Sie doch mal was zum Inhalt!)
Ihnen passt es erstens nicht, dass diese Koalition erfolgreich arbeitet.
(Lachen bei der AfD)
Sie wollen von unserer guten Arbeit ablenken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der AfD)
– Hören Sie ruhig einmal ein bisschen zu. – Dass wir gestern beim Thema Baukindergeld eine Einigung ohne Wohnraumbegrenzung hinbekommen haben, ist ein Erfolg für junge Familien in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dass Minister Scholz just gestern den ersten Teil des Familienentlastungsgesetzes vorgestellt hat, ist ein starkes Zeichen: Wir, die Koalition, tun etwas für Familien im Land. Wir erhöhen das Kindergeld um 10 Euro pro Kind und pro Monat ab dem nächsten Jahr.
(Zurufe von der AfD: Oh!)
Die nächste Stufe folgt 2020/21. Das ist doch genau der Grund, warum Sie heute hier diesen Antrag einbringen: Sie wollen von dieser erfolgreichen Koalition ablenken.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Aber das wird Ihnen nicht gelingen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ihnen geht es zweitens gar nicht um die Sache, also um den Antrag hier im Plenum, sondern Sie wollen Stimmung machen. Das kann man gut sehen, wenn man sich Ihren Facebook-Account anschaut, was ich getan habe.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gehen Sie doch mal auf den Antrag ein! – Jörn König [AfD]: Thema bitte!)
Hier ist anders als im Antrag keine Rede mehr davon, dass es um Angehörige aus EU-Ländern geht, deren Kindergeld indexiert werden soll, sondern da steht: Antrag zum Kindergeld für im Ausland lebende Kinder.
Sie insinuieren dadurch der Bevölkerung, dass alle in Deutschland lebenden Ausländer ein Anrecht auf Kindergeld hätten. Das ist schlichtweg falsch, passt aber zu Ihrem üblichen Schema, Ausländer, Flüchtlinge, Migration und Sozialleistungen in einen Topf zu werfen, umzurühren und somit gezielt Vorurteile zu bedienen. Schauen Sie sich einmal die Kommentarspalten unter diesem Facebook-Post an. Da wird in keiner Weise von Ihnen korrigiert, da wird auch nicht moderiert. So geht es eben nicht. Das lassen wir Ihnen hier nicht durchgehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kay Gottschalk [AfD]: Wo ist denn der Inhalt?)
– Es hat schon etwas mit dem Inhalt zu tun, wenn man darauf hinweist, warum Sie hier welche Anträge einbringen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das wissen Sie doch nicht!)
Das soll die deutsche Bevölkerung schon wissen. Sie machen ja eher Social Media statt Parlamentarismus.
(Jörn König [AfD]: Sie unterstellen die ganze Zeit!)
Der Facebook-Post war schon am Dienstag online.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nun zur Sache selbst. Erstens. Es geht bei der diskutierten Kindergeldregelung um EU-Bürger. Es geht nicht um alle Ausländer. Um es klar zu sagen: Der afghanische Flüchtling erhält kein Kindergeld für seine Kinder in der Heimat.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das haben wir auch nicht behauptet!)
Das ist auch richtig so.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das steht da nicht drin! Bei Ihnen steht das! – Jörn König [AfD]: Schon wieder eine Unterstellung!)
Das schwingt natürlich bei Ihnen immer mit. So ist auch die entsprechende Kommentierung.
Zweitens. Um Kindergeld zu beziehen, muss man hier beschäftigt sein. Wenn also jemand nach Deutschland kommt, so wandert er auf der anderen Seite in das Sozialsystem ein, nämlich auf der Seite des Steuerzahlers.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Drittens. Ja, Sie haben recht: Der Betrag der Kindergeldzahlungen ins Ausland hat sich seit 2010 stark erhöht. Aber die vollständige Wahrheit ist auch: Von 2016 bis 2017 ist dieser Betrag um 70 Millionen Euro gesunken. Insgesamt macht das weniger als 1 Prozent der Kindergeldzahlungen aus. Deswegen ist die Lage nicht so dramatisch, wie Sie es hier darstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: 1 Prozent, das sind ja Peanuts!)
Viertens. Sie kommen zu spät. Diese Bundesregierung hat längst reagiert, sogar die Vorgängerregierung.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wann denn?)
Schon im Frühjahr 2017 gab es hier einen Vorstoß, einen Brief von Wolfgang Schäuble, Andrea Nahles und Brigitte Zypries, in dem die Kommission damals aufgefordert wurde, Kürzungen und Indexierungen zu ermöglichen.
(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Was ist passiert?)
Ich halte dieses Anliegen der Bundesregierung der Indexierung für richtig; denn – es wurde von Ihnen ein Beispiel genannt – es ist klar: Wenn der rumänische Handwerker in einem deutschen Betrieb arbeitet, dann finde ich das erst einmal richtig gut, weil wir damit etwas gegen die Fachkräftelücke machen.
(Zuruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist auch gut, dass dieser rumänische Handwerker hier Steuern zahlt.
Aber klar ist auch: Wenn er zwei Kinder in Rumänien hat und er dann Kindergeld nach deutscher Berechnung bekommt, dann ist das eben so viel, wie man in Rumänien im Durchschnitt als vollen Lohn erhält, wenn man 40 Stunden pro Woche arbeitet. Das steht in keinem Verhältnis. Deshalb gibt es hier Änderungsbedarf.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Stimmen Sie zu?)
Vizepräsident Thomas Oppermann:
Herr Kollege Steiniger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brantner?
Johannes Steiniger (CDU/CSU):
Wirklich? Um diese Uhrzeit? – Komm, auf geht es. Bitte.
(Zurufe von Abgeordneten der AfD)
Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie haben ja gerade erwähnt, dass in Deutschland gar nicht jeder Kindergeld bekommt, sondern nur derjenige, der hier Steuern zahlt. Wenn Sie wollen, dass der rumänische Handwerker das rumänische Kindergeld bekommt: Zahlt er dann auch rumänische Steuersätze, oder zahlt er weiterhin deutsche Steuersätze?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Johannes Steiniger (CDU/CSU):
Ehrlich gesagt habe ich die Frage nicht genau verstanden. Aber Fakt ist, dass der Durchschnittslohn in Rumänien 437 Euro ist und dass man derzeit für zwei Kinder 388 Euro Kindergeld bekommen würde. Tatsächlich steht hinter dem Punkt der Indexierung, dass man die Lebenshaltungskosten mit in die Berechnung hineinnehmen möchte. Von daher ist das aus meiner Sicht ein berechtigtes Anliegen. Aber so, wie es die AfD vorschlägt, geht es eben nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage!)
Der Unterschied zu Ihrem Antrag ist nämlich, dass wir eine rechtskonforme Lösung wollen und keinen Alleingang, der uns jahrelange Verhandlungen beim Europäischen Gerichtshof einbringt.
(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD])
Es ist nämlich so – zahlreiche Gutachten zeigen das –, dass für die Indexierung eine Änderung im europäischen Sekundärrecht notwendig ist. Das sagen das Gutachten des Staatssekretärausschusses, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und die einschlägigen Gerichtsurteile.
Dafür setzt sich die Bundesregierung ein, und das ist richtig. Die Bundeskanzlerin und der Arbeitsminister haben das jüngst wieder bestätigt.
(Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] fotografiert im Plenarsaal)
– Interessant, dass Kollegen während einer solchen Rede Fotografien machen. Okay.
Vizepräsident Thomas Oppermann:
Würden Sie bitte das Fotografieren einstellen? Es kann nicht sein, dass hier im Plenum die Abgeordneten herumlaufen und Fotografien machen.
(Michael Schrodi [SPD]: Da oben auch!)
Johannes Steiniger (CDU/CSU):
Ja, da oben sitzt AfD-TV, glaube ich.
(Kay Gottschalk [AfD]: Haben Sie eine Phobie? Noch regieren wir nicht!)
Vizepräsident Thomas Oppermann:
Der Kollege dort oben darf auf der Pressetribüne fotografieren und filmen, in dem üblichen Rahmen.
(Zuruf von der AfD: Das ist ZDF!)
– Das ist mir egal, wer das ist. Darauf kommt es nicht an.
Fahren Sie bitte fort.
Johannes Steiniger (CDU/CSU):
Herzlichen Dank. – Dafür setzt sich die Bundesregierung ein, und das ist richtig. Bundeskanzlerin und Arbeitsminister haben das jüngst wieder bestätigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass eine europäische Lösung möglich ist, zeigt die Einigung in dieser Sache mit Großbritannien im Jahr 2016. Hier stand man unmittelbar vor der Einführung einer Indexierung, auch mit der Möglichkeit der Umsetzung. Mit dem Brexit hat sich dies jetzt erledigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich unterstütze die Initiative unseres Kollegen Sven Schulze im Europäischen Parlament. Er setzt sich dort nämlich mit Kollegen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Dänemark und Irland dafür ein, eine rechtskonforme Möglichkeit zu finden, die Indexierung einzuführen.
So wie Sie dies hier vorschlagen, geht es allerdings nicht. Deswegen lehnen wir das auch ab.
(Beifall bei der CDU/CSU)