Thorsten Frei: eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im europäischen Maßstab ist die richtige Antwort
Rede in der Aktuellen Stunde zum Brexit
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so, dass diese Debatte und auch der Europäische Rat Ende dieser Woche in einer Zeit stattfinden, die sehr herausfordernd ist, die aber gleichermaßen auch Chancen und Möglichkeiten eröffnet. In dieser Zeit ist es, glaube ich, wichtig, die Europäische Union und Europa nicht zu spalten, sondern zusammenzuführen und zu guten Ergebnissen zu bringen. Das beziehe ich zum einen auf die 28 respektive 27 Mitgliedstaaten, zum anderen aber auch auf die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Deshalb rate ich dazu, auch unter dem Gesichtspunkt von Chancen und Risiken hier keine ideologischen Debatten zu führen, sondern das Augenmerk vor allen Dingen darauf zu richten, was den Menschen nutzt, was sie schützt, was sie weiterbringt und was den Rahmen auf europäischer Ebene verbessert.
Wenn man das tut, muss man vom Ziel her denken und fragen: Bei welchen Aufgaben und Herausforderungen ist ein europäischer Mehrwert ersichtlich? Nicht alles, was europäisch gelöst wird, wird automatisch gut gelöst – genauso wie nicht alles, was national gelöst wird, automatisch gut gelöst wird. Ich habe einen viel zu subsidiären Politikansatz, um so zu denken. Aber auf die Frage, welche Aufgaben denn überhaupt nur supranational gelöst werden können oder jedenfalls sehr viel besser, ist meines Erachtens eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im europäischen Maßstab exakt die richtige Antwort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch die Menschen sind davon überzeugt, dass man hier auf europäischer Ebene bessere Lösungen erzielen kann.
Graf Lambsdorff hat vorhin darauf verwiesen, wie viel Geld man einsparen kann, wenn man in Europa gemeinsam Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht. Damit hat er selbstverständlich recht. Ich will aber ausdrücklich sagen: Uns geht es nicht darum, 10 Milliarden Euro zu sparen. Uns geht es um mehr Effektivität in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Wir haben doch zwei Probleme. Das eine Problem ist, dass beispielsweise die USA – ich könnte aber auch über Russland oder China sprechen – jedes Jahr über 600 Milliarden Euro für Sicherheit und Verteidigung ausgeben und die europäischen Staaten zusammen jährlich etwa 200 Milliarden Euro. Das alleine ist schon ein Problem. Das zweite Problem ist, dass wir mit diesem Drittel, das wir ausgeben, nur 15 Prozent der sicherheitspolitischen Leistungsfähigkeit der Amerikaner erreichen. Das ist ein Riesenproblem, und das hat nichts mit Militarisierung zu tun. Es hat vielmehr damit zu tun, dass wir Europäer nicht in der Lage sind, unsere Aufgaben selbst zu lösen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Was glauben wir eigentlich, wenn wir uns über die USA beklagen? Außenpolitik wird auch vor dem Hintergrund von Interessen gemacht. Bilden wir uns wirklich ein, dass die USA unsere Interessen in unserer europäischen Nachbarschaft verteidigen sollen? Wenn sie es nicht machen wollen, dann machen sie es nicht. Da es unsere Interessen sind, müssen wir uns so stark machen, dass wir unsere Aufgaben lösen können. Es ist in der Debatte angesprochen worden: Was ist denn im Nahen und Mittleren Osten, in Syrien? Europa spielt dort keine Rolle. Aber wir tragen die Konsequenzen. Europa trägt die Konsequenzen – und Deutschland in ganz besonderem Maße. Wenn uns darauf keine Antwort einfällt, dann ist das ein Armutszeugnis für unser Parlament. Deswegen setzen wir uns nicht für das Einsparen von Mitteln ein, sondern dafür, in deutsche und europäische Sicherheit zu investieren. Das ist unsere Verantwortung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Man könnte die Themen weiter aufspannen. Wenn es um eine gemeinsame Sicherung unserer europäischen Außengrenzen geht, wenn es um einen gemeinsamen Ansatz in der Asyl- und Migrationspolitik geht oder wenn es darum geht, dass Fluchtursachen in den Herkunftsländern gemeinsam in Europa besser zu bewältigen sind als einzeln, erkennen wir einen klaren europäischen Mehrwert. Deshalb plädieren wir auch dafür, dort stärker europäisch zusammenzuarbeiten. Da sind wir jetzt auf dem richtigen Pfad.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt hinweisen. Eingangs habe ich gesagt, dass nicht alles, was man europäisch macht, deshalb automatisch besser ist. Ich stelle schon fest, dass man glaubt, zum Beispiel bei der Sozialunion oder auch bei anderen Themen, linke politische Vorstellungen über die europäische Ebene leichter durchsetzen zu können als auf nationaler Ebene.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Es ist selbstverständlich wichtig, dass wir soziale Mindeststandards nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa haben; das will ich an dieser Stelle betonen. Wenn das am Ende aber dazu führt, dass es sich für die einen zu einem bürokratischen Monstrum ausweitet und die anderen jeglicher Chance auf Erlangung von Wettbewerbsfähigkeit beraubt, ist es nichts, was den Staaten und den Menschen in Europa weiterhilft. Letztlich geht es nicht darum, Nivellierung in Europa zu betreiben – zuletzt noch auf niedrigstem Niveau –, sondern wir wollen ein wettbewerbsfähiges Europa. Das setzt voraus, dass man um die besten Lösungen ringt. Man muss daher genau aufpassen: Nicht bei allen Themen ist Europa die richtige Antwort, aber bei vielen, und das sollten wir klar herausarbeiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)